Bitte nicht berühren!

Vor ein paar Tagen habe ich einen Mufti angefasst, und zwar ohne es zu wissen.

 

Jawohl, ich sehe die Fragezeichen über euren Köpfen förmlich aufploppen. Außer bei denjenigen, die mit dem Begriff "Mufti" etwas anfangen können.

Ein Mufti ist der im Deutschen umgangsprachliche Begriff für einen Mann hoher geistlicher Würde im Islam. Vielleicht so etwas wie ein Bischof im Christentum, aber das ist jetzt mein subjektiver Vergleich, bitte nagelt mich nicht darauf fest, und man möge mich auch bitte nicht wegen einer eventuell unpassenden Beschreibung verurteilen.

(Auf diesem Blog gibt es übrigens keine Bewertungen und schon gar keine Diskriminierungen in Bezug auf Herkunft, Religion, sexueller Orientierung etc.)

 

Zurück zum Mufti.

Und zu mir, denn ich arbeite seit kurzem in einem Dienstleistungsberuf, der mit Gesundheit zu tun hat.

Dieser Mufti - unser Kunde - saß auf einem Stuhl... und dann kam ich und setzte ihm einen Knochenleitungsbügel auf den Kopf, was übrigens nicht in einer Sekunde erledigt ist, denn der Bügel muss genau auf einem bestimmten Knochen hinter dem Ohr sitzen und außerdem auf der gegenüberliegenden Seite auf der Schläfe. Die eng anliegende weiße Kopfbedeckung, die der Mufti trug, störte dabei nicht.

Alles lief glatt.

 

Bis nach dem Verlassen des Mannes der Dolmetscher zu uns sagte, dass ich als Frau den Kunden nicht (einfach so) hätte angreifen dürfen. Ob ich nicht gemerkt habe, dass er ein bisschen zurückgewichen wäre?

Meine Augen wurden groß, und ich war halbwegs verdattert.

Erst JETZT erfuhren wir nämlich, dass es sich bei dem betreffenden Mann um einen Mufti der hiesigen muslimischen Gemeinde gehandelt hatte, und der kurz vor dem Freitagsgebet einen Termin bei uns wahrnahm. Nicht zuletzt der weiße Gebetshut war ein Hinweis darauf gewesen, aber wer hätte das in unserem Fall schon wissen können - außer man ist damit vertraut?

Was wir nicht waren.

Was ich eben auch nicht war.

 

Ob man diese Vorschrift - als (noch dazu nicht muslimische) Frau einen hohen islamischen Geistlichen ungefragt zu berühren - nun gutheißt oder nicht, spielt dabei keine Rolle.

Nebenbei bemerkt: Zu einem katholischen Bischof, Prälat, Pfarrer oder weiß der Kuckuck... da geht man ja auch nicht einfach hin und greift den an.

Es geht darum, dass es eine, wenn auch unbeabsichtigte, Regelverletzung war, die der Mufti jedoch freundlicherweise toleriert hat. Er hat mich ja auch gewähren lassen, denn ich hatte nur eine assistierende Funktion, und es handelte sich eben um eine medizinische Dienstleistung, der Vorgang war notwendig.

Tja, und blöde Witze im Sinne von Allahs-Zorn-hat-mich-auch-nicht-getroffen, die lass ich lieber.

Im Endeffekt ist auch nichts passiert. Es war mir/uns etwas unangenehm, aber solche Dinge passieren nun mal.

 

Was das nun mit dem Blog zu tun hat?

 

Ganz einfach: Ich habe darüber nachgedacht, ob es MIR eigentlich auch schon mal rückblickend unangenehm war, berührt zu werden?

Das ist ja eine Frage, die wohl so ziemlich jede/r von uns mit JA beantworten würde.

 

Meine erste Erinnerung betrifft da meinen ersten, alten Zahnarzt (Gott hab ihn zähneknirschend selig), der in den Siebziger Jahren meinen Maulsperren-Mund mit papptrockenen, dicken Fingern auf gewaltsame Weise aufzwang, um mir die Milchzähne zu niederzuplombieren. Ich weinte, was das Zeug hielt, und er - schrie mich an.

 

An eventuell ungewollt-unangenehme Berührungen in meiner gesamten Unfallskommando-Unglücksteufel-Karriere (ihr erinnert euch an den kürzlich erschienenen Beitrag) denke ich dabei nicht mehr speziell, da verstauchte Beine, geprellte Rücken, kotzende Körper etc. nun einmal angegriffen werden müssen ...

Da führt ja kein Weg daran vorbei.

Das ist ja auch nicht das Problem.

 

Die Probleme tauchen eher in Form einer mies gelaunten Notaufnahme-Krankenschwester auf, die mit grimmigem Gesichtsausdruck und einem Katheter in der Hand direkt auf einen zusteuert.

("Muss das wirklich sein?" - "JA." - "Die Harnprobe reicht nicht?" - NEIN.")

 

Oder in Form der Radiologie-Schwester, die meine Brust - während ich auf dem Bauch lag - in eine Art "Klemmvorrichtung" sperrte, damit eine Vakuumbiopsie durchgeführt werden konnte.

(Ja, das klingt jetzt arg, ich weiß... und die Schwester war behutsam, aber sie konnte mir halt auch nicht das Gefühl vertreiben, wie eine Kuh mit der Zitze in einen sogenannten Melkbecher einer Melkmaschine gezwängt zu werden. Von der sirrenden Nähmaschinen-Nadel, die dann kam, fange ich besser gar nicht erst an.)

 

Und dann war da noch eine Kürettage (Gebärmutter-Ausschabung), die medizinisch gesehen ein Klacks war, und wie immer kam ich im Aufwachraum langsam und angenehm wieder zu Sinnen.

Dieser schöne, innere Sonnenaufgang wurde jedoch von einem Pfleger (?) empfindlich gestört, denn der kam zu meinem Bett, schlug ohne Vorwarnung die Decke zurück, zog mir die Unterhose hinunter, blickte kurz hin, murmelte: "Des bliat (=blutet) owa scho nu a bissl" und warf die Decke wieder auf mich.

Feinfühlig - ja, das geht anders.

Natürlich sind solche Kontrollen notwendig, aber der werte Herr Pfleger hätte zumindest einmal kurz daran denken können, mir mit vielleicht sogar einfühlsamer Stimme voranzukündigen, dass er das gleich tun würde. Und dann hätte er vielleicht auch noch bedenken können, dass er nicht mal eben schnell einen zusammengeflickten Ellenbogen begutachtet, respektive "optisch berührt", sondern der Bloggerin edelste Teile.

 

Übrigens gab es nach ein paar Monaten eine weitere Kürettage, und danach im Aufwachraum kontrollierte - ja, erraten! - derselbe Pfleger auf dieselbe Weise meinen "Intim-Status". Ich habe ihn an der Stimme und seinem Verhalten erkannt.

 

Warum ich ihm beide Male nicht eine auf die Nuss gegeben habe? - Macht das mal, wenn ihr noch im Aufwach-Nebel seid und noch nicht mal die Augen richtig aufkriegt.

 

Doch trotz all der "You can't touch this"-Negativbeispiele darf auch nicht vergessen werden, wieviele schöne Beispiele es auch gab und gibt, wie man es besser macht.

Es gibt nämlich auch z.B. eine Zahnärztin, die während der Behandlung ihre Hand auf meine Schulter legt und mir sagt, dass ich das ganz toll mache. (Eine ehemalige Phobikerin hört so etwas gern.)

Da gibt es auch OP-Schwestern, die mir mit angenehm ruhiger Stimme alles erklären und ebenfalls mit der Hand meine Schulter berühren.

Es gibt den festen, vertrauenserweckenden Händedruck meiner Dermatologin, meiner Onkologin und der von Frau Dr. M. von der Plastischen Chirurgie, die ich auch heute noch regelmäßig auf der Bettenstation von "damals" besuche.

Es gibt Berührungen, die signalisieren:

Ich bin da.

Ich helfe dir.

 

Kein Corona, kein Social Distancing, keine NMS kommen dagegen an - nicht mal harnröhrenzerschreddernde Katheter-Schwestern und grobmotorisch/empathisch unbegabte Pfleger.

In Zeiten wie diesen, wo es um das Anrollen einer eventuell zweiten Welle und immer wieder aufbrechender neuer Cluster geht - und natürlich auch davor schon - sind sie mittlerweile zu einem äußerst hohen Gut geworden: Berührungen.

Vergesst also trotz allem nicht darauf.

Ihr müsst eure Berührungskünste ja auch nicht unbedingt an Bischöfen oder Muftis ausprobieren.

;-)

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Kommentare: 1
  • #1

    Helmuth (Dienstag, 30 Juni 2020 10:58)

    Marlies, das Lesen deines Blogs ist wie immer ein Erlebnis, bitte weitermachen,
    dein (stolzer) Vater!