"I wer singen, I wer lochn"*


* "Komm, großer schwarzer Vogel" - Ludwig Hirsch (inkl. Textauszüge)

Foto: Birgit Winkler
Foto: Birgit Winkler

"Schau, des Fenster is weit offen."

 

Wie liest man Blogbeiträge von einem Menschen, von dem man weiß - der selber gewusst hat - dass er sterben wird?

Manches Mal am liebsten gar nicht.

Weil man weiß: Da kommen keine fröhlichen Artikel.

Weil schon der Name des Blogs darauf vorbereitet: Irgendwann...

... bin ich nicht mehr hier.

 

Wie lebt man diese letzten Tage, Wochen, Monate in diesem Bewusstsein?

 

Wie würde ICH leben?

 

Es ist ein grauenhaft beklemmendes Gefühl, diese Zeilen zu lesen.

Gleichzeitig sind da Respekt, Bewunderung, Solidarität - alles durcheinander, alles vermischt.

 

Wie kann man so klare, unbeirrbar deutliche Worte finden für das, was einem widerfährt?

Widerfahren wird?

Da ist ein humorvoller Satz, gefolgt von einem weiteren, der dir die Kehle abschnürt.

Nichts davon künstlich aufgeplustert, kein Pathos, kein Wehklagen, keine Anklagen, kein Hadern.

Einfach: Klarheit. Ehrlichkeit. Pragmatismus. Stärke.

Trotzdem auch Verzweiflung, nichts Geschauspielertes, losgelöste Emotionen.

Denn wer würde erwarten, dass eine Frau, die weiß, dass sie an Krebs sterben wird, einfach nur eine coole Blogger-Rolle spielt?

 

Das könnte vielleicht ich (nicht in ihrer Situation, aber in meiner jetzigen). (Und ihr wisst, das tu' ich nicht.)

Aber sie hat das nie getan.

 

Ihr Name war Christa, und ich habe sie leider viel zuwenig gekannt.

Unsere Wege führten 2014 auf der Kur in Bad Schallerbach zusammen.

Da hatten wir beide das Gröbste überstanden, wobei sich Christa auch von einem Rezidiv erholte.

 

Was wäre ich verlogen, wenn ich euch nun von stundenlangen nächtlichen Gesprächen über Gott und die Welt und vom gemeinsamen Schwur, die Geißel Krebs bis auf's Blut zu bekämpfen, erzählen würde?

Dass wir beste Freundinnen wurden?

Unser Band bis heute verknüpft war?

 

So war es nicht.

Wir verbrachten Zeit zusammen, aber eher zwischendurch.

Wir teilten Erfahrungen hinsichtlich der Antihormontherapie, und klar - wir erzählten einander unsere Geschichten.

Ja, ich mochte sie, und ich weiß, sie mochte mich.

Ich erinnere mich gut an diese hochgewachsenen Frau mit dem breiten Grinsen und dem feinen Humor.

Die immer nach draußen zur Kur-Bushaltestelle ging, um eine zu qualmen.

Die voller Wärme und Zuneigung von ihrem Mann sprach.

Deren Katzen ihr alles bedeuteten.

Und die in ihrer geliebten Arbeit völlig aufging.

Christa, die ein unverwechselbares Lachen hatte. Und sie lachte viel.

 

Nach der Kur verlief der Kontakt zwar nicht im Sande, beschränkte sich aber doch auf Hin-und-wieder-Nachrichten auf Facebook. Mal schnell auf einen Kaffee vorbeikommen ging ja nicht - ich war in Oberösterreich, sie im Burgenland.

Wobei sie mich eingeladen hatte, sie mal zu besuchen.

Wie so oft wird so etwas im Endeffekt nichts. Woran das liegt, kann man dann hinterher nicht sagen.

 

Ich würde sagen, wir verfolgten - getreu dem Motto eines sozialen Netzwerkes - unsere Leben gegenseitig mit mal mehr, mal weniger starkem Interesse.

Ein oder zwei Mal telefonierten wir.

Sie erlebte meine (vergeblichen) Versuche mit, eine Ausbildung/Arbeit zu finden, die zu mir passte.

Ich bekam den Einzug eines neuen Haustieres - eines wundervoll stattlichen und sehr liebesbedürftigen Entlebucher Sennenhundes - mit und sah in der Folge viele, viele Hundefotos.

 

Dann kam Christas Krankheit zurück.

Mit Metastasen.

 

Sie schappte sich alle Waffen (OPs, Medikamente, Chemotherapien...), die sie kriegen konnte und zog in die Schlacht.

... Während ich beobachtend im Schützengraben kauerte und sah, wie sich unsere Leben auf einmal trennten.

Wie ich stärker wurde - und sie schwächer. (Oder war das nur eine Illusion? Ich glaube - ja.)

 

In dieser Zeit eröffnete sie ihren Blog, dessen seltene, unregelmäßig erscheinende Beiträge ich mit gemischten Gefühlen (siehe oben) verfolgte.

 

Christa wusste, sie würde sterben... nur nicht wann.

Je weiter ihre Erkrankung fortschritt und je mehr Beiträge sie veröffentlichte, desto klarer und direkter wurde ihre Sprache.

Es gab keinen Grund, etwas zu beschönigen. Aber auch nichts zu dramatisieren.

Es war, wie es war.

 

Mein Blog - der, den ihr seit Dezember lest ... er wurde von Christa und ihrer Art und Weise, dem Leben - und dem Sterben - zu begegnen, deutlich beeinflusst.

Ich würde sogar soweit gehen und sagen: Ohne Christa gäbe es spark! nicht.

Auch wenn wir nie "Kriegsschwestern" im Geiste waren und unsere Wege unterschiedlich verliefen, so gingen wir doch einige Schritte gemeinsam... für eine Zeit lang.

 

So wie ich sie mit ihnen ging (egal ob mit oder ohne Krebs):

Mit Radka (die ebenfalls dem Unvermeidlichen entgegenblickte),

mit Christoph (der viel zu jung war),

mit Waltraud (die mich gelehrt hat, wie es ist, wenn sich alle Teile fügen),

mit Sina (die zwar ein Hund war, doch mit einer Seele ähnlich der eines Menschen)

... und noch anderen mehr.

Da sind noch immer all ihre Fußspuren.

 

Bei unserem letzten Messenger-Nachrichtenaustausch schrieb mir Christa, wie geehrt sie sich fühle, dass ich unter anderen ihr meinen Blog widmete.

Das war zu einem Zeitpunkt, als sie - laut Ärzten - statistisch schon gar nicht mehr unter den Lebenden weilen "durfte". Aber Christa hatte diese "Tja, ich bin immer noch hier, und was macht ihr jetzt?"-Mentalität, und dann kreuzte sie wieder die Klingen, grinste ihr breites Grinsen (während ihr hinter der Fassade aber sicher Tränen hinunterliefen), und dann ging der Kampf eben weiter.

 

Aber nun ist er zuende.

Keine Schmerzen, keine Angst, keine Sorgen mehr.

"Das Leben ist unfair" zu schreiben wäre leicht - wie überhaupt alles von meiner Warte aus leicht wäre, denn ich weiß nicht im Ansatz, wie es wirklich für sie war.

Nein...  ich war nicht ihre beste Freundin, und ich ging nicht in ihren Schuhen.

 

Doch was ich weiß, wenn ich zu Boden blicke und ihre Fußabdrücke (die "Kreuzungen" in unseren Leben) suche:
Sie verblassen allmählich - aber nicht, weil ich sie vergesse, sondern weil Christa längst ihre Flügel ausgebreitet und sich emporgehoben hat, um die Freiheit, Schmerzlosigkeit und Beseeltheit von allem zu genießen, was danach kommt.

 

"Auf geht's

Mitten in den Himmel eine

Net traurig sein

Na, na, na

Is ka Grund zum Traurigsein!

 

Weil i wer singen

I wer lochn

I wer "Des gibt's net!" schrein!

I wer endlich kapiern

I wer glücklich sein!"

 

 

 

 

 

 

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