Applaus, Applaus!

"Okay - das wird jetzt hart, das wird jetzt anstrengend, und ich weiß, du hast Angst. Das ist alles neu, das ist alles beängstigend, aber du bist stark. Du bist SO stark. Du hältst das aus. Du wirst das durchdrücken wie ein Einser. Mach die Augen zu, ja, lass sie zu. Stell dir vor, wie du später stolz bist, dass du das gepackt hast. Nein, denk nicht daran, was als Ergebnis herauskommen könnte, denk einfach daran, dass du es hinter dich bringst. ... Schau mal, das sind jetzt sicher schon zehn Minuten... zehn Minuten, vielleicht eine Viertelstunde. Einen kleinen Teil hast du geschafft. Du bist stark! Pfeif auf die Röhre, sie ist eh kurz, du liegst jetzt einfach ganz still und tust, was sie dir sagen, dann geht das alles ganz komplikationslos über die Bühne. Mein Gott, du hast schon SO viel geschafft in den letzten Tagen, in den letzten 14 Tagen... das war mehr, als die meisten Menschen ertragen würden, aber du hast alles, alles ausgestanden, geschultert, und es hat dich stark gemacht, es hat dich HART gemacht. .... Sicher schon eine Dreiviertelstunde vorbei, vermutlich hast du jetzt die Hälfte geschafft, du hast das ganz super gemacht, weiter so! Du bist super, du bist SO super! Du kannst so stolz sein auf dich. Du bist der stärkste Mensch auf der Welt. Weiter so! Nein, du bist kein Opfer, du bist eine Heldin, eine absolute Heldin! Sei lieb zu dir, sei einfach lieb zu dir. Ich bin ganz lieb zu mir. Ja, es ist unbequem, die Knie in dieser Stellung zu halten... sie zittern schon, weil die Muskeln nicht mehr ganz mitmachen, aber du kriegst das hin, du wirst es sehen. ... Es kann nicht mehr lange dauern, eine Stunde, vielleicht drüber, es kann jeden Moment vorbei sein. DU hast das gepackt! Ganz allein, ganz stark, einfach super, einfach der Hammer. Nichts kann dir was anhaben - niemand - du hast schon soviel geschafft, lass sie scannen, lass sie drüberscannen, wo sie wollen. Du machst das ganz locker. Gleich ist es vorbei, ganz sicher gleich vorbei. Du kannst so stolz sein!"

 

Was das ist?

Das ist ein schwallartiger Monolog, den ich auf diese Art und ungefähr mit diesen Worten in mir ablaufen lasse.

Um mich selbst anzufeuern, um mich selbst zu beruhigen, um mich selbst zu pushen... um diese Untersuchung zu "überleben".

 

Es ist der 9. Oktober 2012, und ich darf heute nach fast 14-tägigem, albtraumhaftem Krankenhausaufenthalt endlich nach Hause gehen.

Aber erst muss ich das PET-CT hinter mich bringen.

 

Das PET - ich erklärte es schon mal kurz - ist eine nuklearmedizinische Untersuchungsmethode. Kleine Mengen einer radioaktiven Substanz werden in die Armvene gespritzt, diese verbindet sich mit Glukose und macht nach einer gewissen Wartezeit bestimmte Stoffwechselvorgänge im Körper sichtbar. Gehirn- und Muskelzellen, entzündetes Gewebe und eben auch Tumorgewebe - all das lässt sich radiologisch gut darstellen. Gewebe mit schnellem Stoffwechselumsatz und hohem Zuckerverbrauch leuchtet also auf den Bildern auf.

(Puh, das war eine hoffentlich einigermaßen verständliche und medizinisch hoffentlich tolerierbare Erklärung.)

 

Als ich an diesem letzten stationären Tag zur Untersuchung in den Keller gehe (nein, nicht zum Lachen), ist mir mulmig zumute. Das PET ist in etwa so, als würde man ein Brennglas über meinen Körper halten. Es lässt sich damit feststellen, ob der Krebs - beide Krebse - bereits "Schaden" angerichtet hat. In Form von Metastasen. Das ist meine größte Angst.

 

Aber ich versuche dieses latente Panikgefühl zu unterdrücken, während man mich in einer ruhigen Atmosphäre auf die Untersuchung vorbereitet. Ich bekomme ein Beruhigungsmittel zum Schlucken, eine dickflüssige Zuckerlösung zu trinken und ein "strahlendes" Mittel gespritzt.

Dann heißt es erst mal warten. Schließlich muss sich alles im Körper verteilen.

 

Ich liege alleine da, werde ruhig... okay, nicht ganz ruhig, aber doch angenehm träge und müde. Keine Nervosität. Ich bin sediert. Ein bisschen zumindest.

Der Raum ist halbdunkel und von draußen, aus dem Untersuchungsraum, "weht" leise Radiomusik herüber.

"Applaus, Applaus" von Sportfreunde Stiller. Nicht meine Band. Echt nicht. Das passt zu dem heutigen Tag. Aber wer will schon wirklich seine Lieblingsmusik bei einer "Krebs-Untersuchung" hören und dann sein Leben lang damit verbinden?

Ich mag die Sportfreunde nicht. Mein wabbelig-langsames Hirn versucht darüber nachzudenken. Der Rhythmus ist eh ganz nett, aber der Gesang - den mochte ich noch nie. Klingt immer so "zurückgeblieben". Retardiert.

Sediert.

Retardiert.

Darüber nachzudenken lenkt schön ab. Von DEM hier.

 

Ich sitze auf der Bettkante (liegen muss ich nachher noch genug) und lege den Kopf schräg, höre mir den Song an.

Irgendwie bin ich gerade froh, dass nicht "Sugar, oh honey, honey... you are my candy girl" gespielt wird. Aber das wäre auf der anderen Seite ein echter Knaller, oder? Ich würde trotz Sedierung vermutlich losprusten.

 

Weiter komme ich nicht mit meinen zugedrogten Gedanken, denn die Schwester erscheint, um mich zur Untersuchungsröhre zu bringen.

"Bitte so hinlegen... ja... noch ein Stück herunter.... ja, perfekt. Bitte halten Sie die Arme so... und die Beine bitte anwinkeln... Knie leicht zusammen..."

Ich mache alles brav mit. 14 Tage Spital haben mich arzt- und schwesternhörig werden lassen. Bis auf einen Grantigkeitsanfall war ich die ganze Zeit richtig "brav".

 

So auch jetzt.

Ich mache die Augen zu und lasse sie auch zu, in den folgenden 90 Minuten. Unterbrochen nur von einer Harndrang-Episode, die mir ein wenig Bewegung und eine 3-minütige Verschnaufpause verschafft.

 

Aber ansonsten stehe ich das durch. Von Anfang bis Ende. Wie überhaupt alles, seit ich in diesen heiligen Hallen bin.

Ohne dass ich es vorhatte, lege ich einen Schalter in mir um und cheerleade mich innerlich zum Durchhalten. Der oben platzierte Superstrong-Monolog läuft wie ein Tonband ab... stakkatoartig, in rascher Abfolge, so dass ich keine Pause habe, nachzudenken.

 

Ob es irgendwo eng ist.

Ob ich das Kontrastmittel nicht vertrage (ich vertrage es tatsächlich nicht, aber das stellt sich erst später heraus).

Ob das alles wirklich so verflucht lange dauert und ob meine Muskeln vom Stillhalten zu zittern anfangen.

Und: Ob ich Metastasen habe. (Später erfahr ich: Hab' ich nicht.)

 

Und dann ist es vorbei. Ich atme auf, ziehe mich an und verlasse die PET-Abteilung.

Ich bewege mich dynamisch und mit breiter Brust (da habe ich noch eine) und ich merke: Hey, ich bin ein paar Meter gewachsen.

Ich habe auch das wieder hingekriegt.

Notfalls feuere ich mich an, als wäre ich mein persönlicher Cheerleader.

Der Weg zu meiner Bettenstation ist weit, wenn man den Lift nicht benutzt, und ich hab's nicht eilig. Ich will mein Hochgefühl gerade ein wenig genießen. Von low (sediert) zu high.

 

Ein Pfleger läuft mir über den Weg. Er sieht mich etwas seltsam an.

Er hat ja keine Ahnung, dass er einem superstarken, supertapferen, etwas neben der Spur laufenden Candygirl begegnet ist.

 

Fly high,

do or die,

dare to dream,

cheer to the extreme!

 

...Applaus, Applaus!

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