Eine untragbare Situation

Wie ich von meiner Brust Abschied nahm, Teil 3

Das letzte Holz-vor-der-Hütt'n-Selfie
Das letzte Holz-vor-der-Hütt'n-Selfie

Die Heldin der Geschichte ließ - wie ihr wisst - Chemo und Operation und noch mehr über sich ergehen. Wenn ihr nun gedacht habt, die letztes Mal beschriebene rechtsseitige Mastektomie sei schon der große Showdown gewesen, dann wisst ihr nur die halbe Wahrheit... denn ein knappes Jahr später kam die andere Seite dran - unter ganz anderen Vorzeichen.

 

Ein Brustaufbau wurde von meiner Seite zumindest immer angedacht, aber wirklich weit kam ich mit den Überlegungen nie. Es war einfach nicht wichtig für mich, außerdem erschienen mir sämtliche Varianten mit Silikon, Bauchfett oder Rückenmuskel eher abschreckend als reizvoll. Es gab ja auch dringendere Dinge zu tun. Mich bestrahlen lassen, täglich meine Antihormon-Tabletten einwerfen, Kondition (wieder)erlangen usw. Da fiel mir momentan eine nagelneue Brust nicht so ins Gewicht.

 

Apropos Gewicht. Nicht lange nach der Operation hielt ich meine "maßgeschneiderte" Brustprothese in der Hand, die ich im Spezial-BH-Körbchen oder auf der Haut hinter dem Oberteil tragen würde, um für "optischen Ausgleich" zu sorgen.

Nein, ich gab der Guten keinen eigenen Namen. Meist nannte ich sie einfach nur unzärtlich "TRUMM", weil sie nämlich ein (1 !!) stolzes Kilogramm wog. (Das hat man davon, wenn man zuvor gut ausgestattet war.)

Es wäre natürlich vermessen gewesen zu erwarten, dass ein solcher Brocken auf der Haut haften bleiben würde, dennoch macht mir schon wieder der Gedanke Spaß, einen erneuten Bezug zum Film "Alien" herzustellen. Diesmal kein Facehugger, sondern ein Chesthugger. ;-)

 

Ich hasste das Ding - ich sage es, wie es ist. Wenn ich nach Hause kam, flog es augenblicklich in die Ecke. Wenn ich unterwegs einen BH ohne "Fach" trug, wanderte das Trumm beim Bewegen immer wieder mal in Richtung Brustbein, von wo ich es dann wieder in die richtige Position zurückzerrte. Man hätte mir vermutlich nicht zusehen dürfen...

 

Nach wenigen Monaten war klar: So geht das nicht weiter. Der Silikon-Klops konnte nicht drüber hinwegtäuschen, dass ich mich asymmetrisch fühlte. Das machte mir einen Knopf ins Hirn.

Außerdem litt ich zunehmend an Schulter- und Rückenschmerzen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ich bis an mein Lebensende damit herumlaufen sollte.

Es wurde immer klarer für mich: Die andere Brust muss auch noch weg.

 

Mit den Muskelproblemen, die mit der Zeit auch noch in Gelenkschäden hätten übergehen können, hatte ich schon einen wichtigen medizinischen Grund. Noch dazu gab es wichtige prophylaktische Gründe: Wo nichts ist, kann auch weniger was wachsen.

Vor allem auf sozial-psychologischer Ebene sah ich es glasklar, denn mir wurde eines bewusst:

 

Diese Prothese habe ich getragen, um anderen Menschen "vorzugaukeln", dass ich "eh" eine Brust habe.

 

Das war mir jetzt zu blöd.

Ich brauchte das nicht.

Für mich stand fest, dass ich mich selbst in meiner Haut wohlfühlen möchte. Ich muss keinen äußeren Schein wahren, der das DAVOR zurückbringt. (Das DAVOR gibt es sowieso nicht mehr.) Ich lebe nicht für andere Menschen, sondern nur für mich selbst.

 

"Meine" Brustchirurgin unterstützte mich nicht nur in meinem Vorhaben, sondern führte auch diese Operation durch.

Im Jänner 2014 rückte ich wieder ins Krankenhaus ein und erwartete diesmal ganz entspannt meine angleichende Operation.

 

Angleichend...

.... Geschlechtsangleichend?

Kurz nach der OP kam ich mit meiner Identität ins Straucheln. Meine "Flachheit" machte mich so frei und regelrecht glücklich, dass ich mir plötzlich nicht mehr sicher war, ob dieser wichtige Schritt als "Nebeneffekt" möglicherweise aufdeckte, dass ich womöglich transsexuell war bzw. in diese Richtung tendierte.

 

Mittlerweile sage ich: Nein, das ist nicht so. Ich bin nicht im falschen Körper. Ich habe "Ambitionen" in diese Richtung, aber keinen Leidensdruck. Ich fühle mich selten weiblich, aber auch nicht übermäßig männlich. Meist bin ich irgendwo dazwischen, lasse Grenzen verschwimmen, lehne Schubladisierungen ab.

Ich bin, wie ich bin.

Ich bin gut so, wie ich bin.

Mehr muss ich nicht wissen. Alle anderen nehmen mich so, wie ich bin. Oder lassen es eben. :-)

 

Zumindest weiß ich, dass mich diese Operation nicht nur vom "asymmetrischen Knopf im Hirn" und von Muskelverspannungen befreit hat.

Ich habe auch noch eine gewisse körperliche Freiheit (nie wieder BH, yeah!) gewonnen, und vor allem bin ich mir meiner selbst sehr bewusst geworden und habe mich deutlich mit mir und meinen Bedürfnissen auseinandergesetzt.

Gegen den Strom zu schwimmen war eh immer schon meins, Anpassung an gesellschaftliche "Normen" geht mir oft genug gegen den Strich... die Episode mit dem "Trumm" und der anschließenden Flachheits-Freude hat mich endgültig freistrampeln lassen.

 

Ich sage immer wieder (und verstehe, wenn es nicht jede/r nachvollziehen kann), dass mir diese Krankheit auch Gutes gebracht hat, bringt und weiter bringen wird.

Mich so stark zu spüren, meine Identität, meine Bedürfnisse wahrzunehmen und unerschütterlich dazu und ZU MIR zu stehen, das ist wohl das größte Geschenk, das ich aus dieser Zeit mitnehme.

 

P.S.:

Ich bin zwar oft nostalgisch, aber die Prothese habe ich mir nicht als Erinnerung in einem Schaukästchen an die Wand genagelt. Nach einem knappen Jahr Chesthuggen hatte es ausgedient und darf - vermutlich noch immer - bei den Problemstoffen im Altstoffsammelzentrum vor sich hin rotten. Ciao Trumm!  ;-)

 

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