Hooray for boobies!*

Wie ich von meiner Brust Abschied nahm, Teil 2

* Albumtitel von der Bloodhound Gang

Da hatte ich also nun wieder mal im Krankenhaus eingecheckt.

Die ziemlich kräftezehrende, letzte Chemo war schon wieder 3 Wochen her, meine Glatze war zwar nicht spiegelblank, aber doch nahe dran. Zu meinem Entsetzen fingen die Augenbrauen an, lichter zu werden. Wie sich später herausstellen sollte, würde ich sie nicht ganz einbüßen, aber die Dichte früherer Tage haben sie bis heute nicht wieder erreicht. Es soll Schlimmeres geben.

 

Ich war nicht ängstlich, aber angespannt. Was mich zuversichtlich stimmte: Der Leiter des Brust-Gesundheitszentrums höchstpersönlich sollte mich operieren. Gewissermaßen der Oberguru der Brustchirurgie, ein renommierter Mediziner mit internationaler Erfahrung.

Da wartete ich nun am Vorabend der OP auf eine kurze Visite meines Operateurs.

Endlich ging die Zimmertür schwungvoll auf (man könnte fast sagen, sie flog förmlich auf und wurde fast aus den Angeln gerissen) und wer hereinwirbelte, war eine zierliche Frau mit asiatischen Gesichtszügen und fliegendem weißen Mantel. Sie strahlte übers ganze Gesicht und schüttelte mir begeistert die Hand.

"Frau Sch., guten Tag, mein Name ist S., Sie haben sich ja schon gut eingerichtet, setzen wir uns doch und besprechen den Ablauf."

Ich verstand erst mal gar nichts, und nach einigen Minuten - nachdem wir schon die OP durchgesprochen hatten - stotterte ich dann die Frage hervor, wer mich denn nun operieren würde.

"Na, ich."

Sie strahlte mich immer noch an, und ich stellte im gleichen Moment fest, dass es mir überhaupt nichts mehr ausmachte, dass nicht der Oberguru das Skalpell in die Hand nehmen würde, sondern diese Oberärztin, die ein so sympathisches, einnehmendes Wesen hatte, dass ich gar nicht anders konnte, als ihr meine Brust und mein Leben anzuvertrauen.

Um sämtliche Missverständnisse schon im Vorfeld auszuräumen, wurde mit einem charmanten "Re" noch die richtige Brustseite gekennzeichnet, und dann huschte Frau Doktor auch schon wieder hinaus.

 

Nächster Tag. Endlich war es soweit. Schon ganz früh am Morgen rollte man mich - nein, noch nicht in den Operationssaal, sondern zuerst in die Nuklearmedizin. Wie ich es schon von der Melanom-OP kannte, würde man erst mal meine(n) Wächterlymphknoten bestimmen.

 

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Einschub Erklär-Bär🧸:

 

Der Wächterlymphknoten ist der Lymphknoten, zu dem die Lymphe aus dem Tumorgebiet als erstes abfließt. Erst danach werden weitere Lymphknoten erreicht. Gewissermaßen ist dieser erste "Hauptlymphknoten" also der - nomen est omen - Wächter über die anderen Lymphknoten. Er hat auch einen cooleren Namen: Sentinel.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist der Wächterlymphknoten der erste, in dem sich Tumorzellen ansiedeln. Ist der Sentinel im Schnellschnitt sauber, ist das gut - ist er es nicht, werden weitere Lymphknoten entfernt. Früher wurden ganze Lymphknoten-Areale (Leiste, Schlüsselbeingrube, Achseln) förmlich "ausgeräumt". Heutzutage ist das nicht mehr Standard.

 

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Nachdem also im September vor der Melanom-OP meine Leiste dreier Wächterlymphknoten beraubt wurde, würde sich diesmal alle Aufmerksamkeit auf die Achsel richten.

Im Behandlungsraum wartete ich wieder mal auf eine ziemlich hübsche Ärztin (ich kann auch nichts dafür), die mir dafür dann ein paar Mal in die Brust stach. Thanks a lot!

Ein schwach radioaktiver Farbmarker sollte sich, die Lymphbahnen entlang, seinen Weg durch das Brustgewebe suchen und sich im Sentinelknoten ansiedeln. Wir warteten also eine Weile und versuchten den knotigen Kerl dann radiologisch aufzuspüren, denn die Farbe hätte sich mittlerweile darin ablagern müssen.

Tat sie aber nicht. Zumindest nicht eindeutig.

Man sagte also zu mir: "Wir spritzen nochmal nach, und dann müssen Sie bitte die Brust massieren, um das Präparat besser zu verteilen. Danach checken wir nochmal."

Das reichte schon für einen irritierten Blick meinerseits, aber im selben Atemzug folgte noch:

"Aber wir brauchen den Untersuchungsraum jetzt, da schon der nächste Patient wartet. Wir müssen Sie daher auf dem Gang zwischenlagern und holen Sie später wieder herein. Schön massieren, gell?"

 

Man hat mir schon oft gesagt, dass ich aus grotesken Situationen oft das Beste mache, und hier wurde ich diesbezüglich wieder einmal gefordert. Logistisch und organisatorisch war es durchaus nachvollziehbar, doch die Absurdität der "Szenerie" war deutlich zu spüren.

Erst mal nur für mich, denn es wusste ja niemand, was ich da "heimlich" tat.

Ich lag auf dem Gang in meinem Bett, die Decke bis zum Kinn hochgezogen, und massierte darunter meine rechte Brust.

Das erste, was mir durch den Kopf ging, war:

"I believe in miracles... where you're from... you sexy thing, sexy thing you..."

Und als nächstes:

"Das ist vermutlich die unerotischste Situation meines Lebens, und ich kann gerade überhaupt nicht glauben, dass ich mich vor 2 Tagen per Ritual von meiner rechten Brust verabschiedet habe und nun mein letzter Körperkontakt mit ihr diese asexuelle Massage sein wird, die ich nun an mir ausübe, als würde ich heimlich schmutzige Dinge mit mir anstellen, während auf dem Gang fremde Leute an mir vorbeigehen, mich das Neonlicht blendet und der Fernseher im Wartebereich da drüben schon wieder eine dieser blöden Sitcoms spielt, während ich hier meine eigene habe."

 

Andere hätten vielleicht geheult - ich lag aber da, tat, was ich tun musste, und grinste dämlich von einem Ohr zum anderen.

Glaubt ihr nicht? Es war aber so. 😁

Wie auch schon bei so vielem im Leben half mir der Humor dabei, eine gewisse Leichtigkeit zu finden und zu bewahren.

 

Übrigens: Der Wächterlymphknoten hatte sich dann doch erbarmt und zeigte sich markiert und bereit für den Eingriff.

 

Und so ging es endlich in den Operationssaal, und ich begab mich in die fähigen Hände von Frau Dr. S.

Als ich ein paar Stunden später langsam wieder zu mir kam, erzählte mir jemand sogleich, dass drei Lymphknoten entfernt und sofort untersucht worden waren. Sie waren alle drei blitzsauber.

(Nicht schlecht für jemanden, der zum Zeitpunkt der Diagnosestellung befallene Lymphknoten in genau dieser Region gehabt hatte.)

 

Was mir von den ersten wirklich "lichten" Momenten nach der Operation, als ich wieder im Zimmer war, vor allem in Erinnerung geblieben ist:

Erstens: Waaaas? Ich bin ja gar nicht dick einbandagiert.

Zweitens: Es ist überraschend, wie schmal ein Frauenbrustkorb sein kann, wenn so ein "Boobie" fehlt.

Und drittens: Man kann auch postoperative Überkopf-Selfies machen, um Momente wie diesen für immer festzuhalten.

 

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