Das Ritual

Wie ich von meiner Brust Abschied nahm, Teil 1

Tschüss, Busen!

Okay, so locker war das nicht, und ich werde euch nicht für dumm verkaufen und behaupten, dass mir das völlig wurscht war, als man mir im Herbst 2012 sagte: "Aufgrund der Lage und der Größe der Herde werden wir höchstwahrscheinlich um eine Mastektomie nicht herumkommen."

Es war jedoch auch keine Katastrophe. Zumindest war das nicht die Tatsache, die für mich im Mittelpunkt stand in diesem Moment. Gleichzeitig sagte man mir außerdem noch, dass man noch die Hormonrezeptoren bestimmen müsse... dass die Chemo VOR der OP dran wäre... und dass man die Ergebnisse der Wächterlymphknoten-Untersuchung der Melanom-OP auch noch abwarten müsse.

Puh, das war alles ganz schön viel. Da verkam die Aussicht, in einigen Monaten ohne rechte Brust im Aufwachraum wieder - nun ja - aufzuwachen, fast zur Nebensache.

 

Schließlich war es dann soweit, und die erste "Cocktailrunde" wurde eingeläutet. In Vorfeld des stationären Aufenthaltes wurde auch ein MRT beider Brüste gemacht, und dann war er auch schon da - der Moment der Wahrheit.

Ich saß auf dem Bett, als sie ins Zimmer kamen - Dr. T. und Dr. H., Oberärztin und Assistenzärztin, zwei über alle Maßen vertrauenswürdige Damen und Expertinnen in den Bereichen Innere Medizin/Hämatologie/Onkologie.

"Also, es ist so...." Kurze Pause - man wollte es mir möglichst schonend beibringen. "Wir würden angesichts der Lage der Tumore empfehlen, dass man eine Mastektomie macht."

...

Selten war ich klarer im Kopf, sah ganz deutlich das, was im Vordergrund stand.

Brust oder Leben, Leben oder Brust, was ist für mich wichtiger?

Ohne Brust kann ich leben. Das ist eben die Hauptsache... LEBEN.

Ich nickte kurz und musste nicht mit meiner Reaktion ringen. Ich weiß den Satz, den ich sagte, noch genau:

"Dann machen wir das so."

Es war Frau Dr. T., die mich bisher noch gar nicht persönlich kennengelernt hatte, deutlich anzumerken, wie erleichtert sie war.

"Ich freue mich, dass Sie das so sehen."

 

Welche Reaktionen werden Ärztinnen und Ärzte in so einer Situation wesentlich öfter erleben? Emotional gesehen ist von Weinkrämpfen, Wutanfällen, Diskussionsversuchen und anderen Abwehrreaktionen wohl alles dabei. Verständlicherweise. Es gibt kaum etwas, das - im wahrsten Sinne des Wortes - einschneidender ist als das.

Für viele Frauen ist der Verlust der Brust ein massiver Eingriff in ihre Weiblichkeit bzw. die Definition und Identifikation mit derselben. Es gelingt ihnen nicht so schnell, oder vielleicht gar nie, zu akzeptieren, dass sich ihr Körper so dermaßen stark verändert hat oder verändern wird.

Meine sehr pragmatische Reaktion will ich nicht überhöht darstellen und mir schon gar nicht anmaßen zu beurteilen, wie man "richtig" reagiert. Ich weiß natürlich auch, dass meine Sicht auf meine eigene Weiblichkeit eine andere ist.

Zu diesem Zeitpunkt war ich übrigens noch der Meinung, irgendwann mal später einen Brustaufbau machen zu lassen - aber bloß nicht jetzt.

Das ganze Thema war für mich einfach nicht so wichtig.

 

Das sagte ich auch der Psychoonkologin im Krankenhaus.

"Ich will leben", sagte ich voller Überzeugung. "Das ist mir wichtiger als alles andere."

"Ich empfehle Ihnen trotzdem, Abschied von Ihrer Brust zu nehmen. Vielleicht in Form eines Rituals, das Sie selbst gestalten?"

Da wurde ich schon hellhörig. So etwas könnte mir gefallen - die Idee war gut.

"Bedenken Sie, dass es trotzdem ein Teil von Ihnen ist, den Sie hergeben", sagte Frau Mag. P.

"Gehen Sie nicht darüber hinweg, als wäre das nichts. Ich verstehe, dass Sie sagen, sich nicht darüber identifizieren zu wollen, aber ob weiblich oder nicht - Sie werden sich davon trennen müssen. Machen Sie ein Abschiedsritual."

 

Und ich machte genau das. An einem Nachmittag, nicht lange vor der Operation, zog ich mir ein schwarzes Hemd an, das ich offen ließ. Meine Freundin schrieb mir Texte auf die Brust, die ich mir vorher überlegt hatte. Kein "Au revoir, es war sehr schön" freilich, oder würde man so etwas von mir erwarten? ;-)

Nein... wenn schon alternde Rockgruppen mit Abschiedstourneen durch die Welt tingeln, konnte ich ja schriflich festhalten lassen, dass auch für meinen Brustkrebs eine Farewell Tour nur recht und würdig war, und zwar von Beginn der Chemotherapie im Oktober bis zu deren Ende im Februar (also jetzt).

Danach durfte meine rechte Brust von den Bühnenbrettern der Welt (oder zumindest meiner Welt) abtreten.

Die zweite Variante war mein abgewandelter Graffiti-Spruch "Enemy inside". Ein Feind, der - wenn alles gut ging - gerade in den letzten Zuckungen lag, wenn Freundin Taxotere (=Chemo) ihre Wirkung zur allgemeinen Zufriedenheit verrichtete. (Was sie übrigens auch tat.)

 

Mein Ritual war nicht rührselig. Ich winkte dem Krebs nicht mit dem weißen Taschentuch nach.  Ich hörte "Dojana" von der rumänischen Gruppe Dordeduh in Dauerschleife in ohrenbetäubender Lautstärke. Ich flitzte mit offenem Hemd durch die Wohnung. Ich machte Fotos und ließ welche machen. Ich grinste glatzert und mit dunklen Augenringen in die Kamera, aber immerhin - ich grinste.

Das Ritual hatte keinen schönen Anfang, kein besinnliches Ende und keinen dazwischenliegenden Plan. Ich hörte Musik, sang den langgezogenen Gesangspart in "Dojana" und machte Fotos aus unterschiedlichen Winkeln, auch als ich wieder alleine in der Wohnung war. Und irgendwann wusste ich:

Jetzt ist gut.

Jetzt passt es.

Ich kann loslassen.

Ich kann sie loslassen.

 

Ich habe erst später wirklich verstanden, wie wichtig dieses Ritual für mich gewesen war. Möglicherweise hätte mich mein verändertes Körperbild irgendwann eingeholt, und ich hätte bereut, mir nicht bewusste Momente des Abschiednehmens genommen zu haben.

Ob ich mich nun mit oder ohne Brust zu 10%, 50% oder gar nicht weiblich fühle - was spielt es für eine Rolle? Es ist mein Körper, der sich innerhalb weniger Monate stark verändert hatte und das immer noch tat. Ich hatte Narben, wo vorher keine waren... große Narben. Zu Zeiten der Diagnosestellung und danach wurde an meinem Körper gestochen, aufgeschnitten, transplantiert, bestrahlt, infiltriert, mit Chemie vollgepumpt und dergleichen mehr. Er hat das alles tapfer mitgetragen, und durch das Ritual inmitten all dieser Veränderungen konnte ich ihm meinen Respekt erweisen.

Ich sehe dich, ich fühle dich und ich gehe nicht über das hinweg, was ist und was passiert.

Genauso wie er mich nicht im Stich gelassen hat, so lasse auch ihn nicht in Stich.

 

Ich brauchte all diese Erkenntnisse nur zwei Tage später, als ich für die Operation vorbereitet wurde, und sie halfen mir vor allem im Unterbewusstsein.

Aber davon erzähle ich euch nächste Woche in Teil 2. :-)

 

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    U. (Mittwoch, 29 April 2020 10:17)

    Respekt!!!!