Komm zurück!*


*Rose DeWitt Bukater, in: "Titanic"

Nächster Beitrag, nächstes Outing. (Puh, euch bleibt auch nichts erspart, gell?)

 

Ich bin ein bisserl pervers.

 

Jetzt ist es raus, jetzt ist mir leichter.

 

Ganz normal bin ich nicht, aber das - ha! - trage ich seit eh und je mit Stolz wie eine Rüstung.

Ganz sauber ticke ich nicht, wie man sagt...

... oder kennt ihr jemanden, der gern ins Krankenhaus geht?

Okay, ich relativiere mal: Natürlich geh' auch ich nicht gern da rein, um unangenehme Dinge über mich ergehen zu lassen - Untersuchungen, Herumschnippeln und so einen Kram.

Aber dennoch sind Krankenhäuser für mich keine Höllenhäuser, sondern Orte der Sicherheit.

Zumindest mein Krankenhaus... mein Ordensklinikum.

Es ist nämlich so: Ich gehe manchmal einfach so rein.

Gewissermaßen kehre ich zurück. Und für mich war das lange Zeit eine Form der Verarbeitung und ist es immer noch.

 

Eine Freundin erzählte mir mal, dass - wenn sie in ihrem Krankenhaus ist - sich ihr der Magen umdreht, wenn sie auch nur in die Nähe der Onkologie kommt. Für sie ist das ein Platz, den sie mit der schlimmsten Zeit ihres Lebens verbindet.

Ich verstehe das. Auch ich habe in meiner Klinik Ähnliches empfunden. Aber ich bin - zum Teil da drin und mit Hilfe der Menschen da drin - auch wieder gesund geworden. Deshalb spüre ich auch ein Band.

 

Jetzt mache ich das nicht mehr so oft, aber es gab eine Zeit, da ging ich jede Woche in mein Krankenhaus hinein, ohne bestimmten Grund. Mit gesenktem Kopf durch den Eingang, denn ich habe mal gelesen, dass die "Riechsensoren" da besonders anschlagen, wenn man sich erinnert.

Und ich erinnere mich an vieles.

Ich gehe hinein und rieche Krankenhaus. Wie ein Krankenhaus halt so riecht.

Ich gehe über den verschiedenfarbigen Linoleumboden mit den verschiedenfarbigen Linien, die in verschiedene Abteilungen führen.

Na, dann los...

 

Es war und ist manchmal ein wenig wie ein positiv empfundener "Zwang", wenn ich all die Orte aufsuche, mit denen ich gute und schlechte Dinge verknüpfe.

Da ist die Ambulanz der Plastischen Chirurgie. Da drin saß ich mal schlotternd und ahnungslos, was da noch alles über mich hereinbrechen wurde. Ich gehe vorbei, erinnere mich und sehe mich - jetzt. Ich bin nicht mehr dieselbe wie zuvor. (Entschuldigt bitte den abgedroschenen, aber nun mal wahren Ausdruck.)

 

Ich gehe mit diebischem Vergnügen zur stets verschlossenen Tür zum OP-Aufwachraum, und da bleibe ich meist auch stehen. Rieche ich etwas? Ich atme tiefer ein. Nein, heute leider kein Anflug von dem besonderen "Aufwachraum-Geruch" festzustellen. Schade.

(Aufmerksame Blog-Fans werden ja meinen Premieren-Beitrag kennen, der von meinen Geborgenheitsempfindungen rund um meine OPs berichtet.)

Einmal ist es passiert, dass ich mit dem Aufzug unterwegs war und dieser im 1. Stock stehenblieb, wo es ausschließlich zum OP-Bereich geht. Als die Türen aufgingen, bekam ich die volle Ladung Geruch ab, und ich sog ihn auf, dass sich meine Nasenflügel blähten. Leckerschmecker!

 

Erwähnte ich schon mal, dass ich ein bisschen pervers bin?

 

Ich gehe auch gerne in Richtung der Bettenstation der Plastischen Chirurgie, wo ich damals 2 Wochen verbrachte. Der Weg bis dahin ist weit, und er hat sich - baulich gesehen - auch etwas verändert.

Dann der Ultraschall-Bereich. Ihr erinnert euch? Der Gang, das "Alien", meine Käseglocke und die Suche nach dem Lift. Diesen Bereich gibt es in der Form längst nicht mehr, weil einiges umgebaut und modernisiert wurde. Das empfinde ich durchaus als Verbesserung. Dort ist jetzt kein dunkler Höllenschlund mehr, sondern ein... na ja... heller Höllenschlund. ;-) (Da bin ich doch offenbar etwas "normaler" und eben nicht so gern dort. Wobei die eigentliche Radiologie ja sowieso mittlerweile umgezogen ist.)

Bei der Gelegenheit kommt es auch schon mal vor, dass ich schließlich doch den (richtigen) Lift nehme und im 5. Stock die vorhin erwähnte Bettenstation aufsuche, um kurz die Stationsärztin, Frau Dr. M., zu besuchen. Sie freut sich nämlich immer, wenn sie mich sieht, und hat mich nie vergessen. Eine Zeitlang war ich mit meinen 2 Diagnosen nämlich "berühmt" im Spital, jawoll ja. Da hieß es dann immer: "Ach ja, Sie sind das." Fame! (Oder so.)

Es ist wirklich so: ÄrztInnen freuen sich oftmals, wenn sie ehemalige PatientInnen wiedertreffen und sehen, dass es denen gut geht. Und für mich ist es auch schön, die Gelegenheit zu ergreifen und danke zu sagen... einfach so.. für damals.

 

Kleiner Einschub:

Ich saß vor ca. 3 Jahren mal in der Ambulanz für Physikalische Medizin im Wartebereich... und plötzlich sah ich ihn.

Ich sprang spontan auf und trat vor ihn.

Ich: "Herr Dr. P.?"

Er (überrascht): "Ja?"

Ich: "Grüß Gott." Ich reiche ihm die Hand. "Ich heiße Marlies S. Sie werden sich nicht mehr an mich erinnern, aber Sie haben 2012 bei einer Untersuchung, die wegen etwas anderem stattfand, einen Tumor in meiner Brust entdeckt. Ich bin ziemlich sicher, dass Sie mir das Leben gerettet haben, und ich möchte Ihnen dafür Danke sagen."

Seinen Blick vergesse ich nie, und ich denke, so etwas erleben selbst ÄrztInnen nicht so oft. Für mich fühlte sich das aber so an, als wäre ein Schloss, an dem ich lange Zeit herumgespielt habe, endlich eingerastet. Schwer zu beschreiben. Ein höchst befriedigendes Gefühl... und von Herzen kommend.

 

Mal sehen, wo führt mich denn der Weg noch hin?

Zur gynäkologischen Ambulanz, die ich auch mehrmals von innen gesehen habe.

Ganz wichtig dann auch noch die gruppierten Stühle in der Nähe der Nuklearmedizin. Ich nehme auf dem selben Sessel wie damals Platz - und damals habe ich (noch unter der Käseglocke) meine Schwester angerufen, ihr von dem gerade gefundenen Etwas in meiner Brust erzählt und sie gebeten, dass sie es bitte unseren Eltern sagen möge. Ich selbst hatte nicht die Kraft dazu.

Eine "andere" Marlies, eine viel stärkere, steht jetzt auf und geht weiter - vorbei an der Physikalischen Medizin, in der ich zwei Onko-Rehas absolvierte, und dann zum Buffet.

Entweder trinke ich hier einen Kaffee oder ich hole mir einen Kakao vom Automaten. Damit gehe ich dann weiter zu dem Sofa, auf dem ich nahe des Foyers immer auf meine damalige Freundin wartete, vor allem während der folgenden stationären Aufenthalte.

 

Eigentlich gibt es wenige Wege, die ich nicht gehe. Selbstverständlich lasse ich die nicht zugänglichen Bereiche und die Bettenstationen - bis auf oben genannte Ausnahme - aus.

Es gibt noch eine Abteilung, in die ich nie mehr wieder hinmöchte: Am 36. Tag nickte ich nach abgeschlossener letzter Bestrahlung dem Personal an der "Kommandozentrale" zu, lächelte und meinte: "Auf Nimmerwiedersehen." Ich gedenke das einzuhalten, und da sich der Bereich im Untergeschoss befindet, werde ich mich wohl auch nicht hinverirren. (Nicht, dass mir dort wieder eine Ärztin Blut aus der Fingerkuppe quetschen will.) ;-)

 

Warum mache ich das? Ich habe es ja schon angedeutet: Für mich ist es eine Form der Verarbeitung - immer noch.

Es war schon seit jeher so, dass ich gerne Orte wieder aufsuche, mit denen ich etwas verbinde. Es ist wie das Schließen eines Kreises, und das geht auch mehrfach gut.

Ich begebe mich da hin, sauge die Atmosphäre auf, erinnere mich an dieses und jenes (nicht alles war schlecht) und sehe mich gleichzeitig als der erblühte, veränderte Mensch, der ich jetzt bin.

Für mich ist dieses spezielle Krankenhaus ein Ort der Heilung, des Neubeginns, des Wandels von so vielem. Ich empfinde Dankbarkeit und fühle mich tatsächlich und ernsthaft ein Stück weit zu Hause... und nach Hause kehrt man eben - in meinem Fall - gerne zurück.

 

Selten empfindet man intensivere, "nacktere" Gefühle als dann, wenn man plötzlich am Grat zwischen Leben und Tod wandert. Der örtliche Rahmen spielt da meist eine große Rolle.
Ich verstehe jeden Menschen, der nach so einer einschneidenden Erfahrung alles tut, um sich nicht mehr als nötig dem wieder auszusetzen.

Aber so lange ICH für meinen Teil es so empfinde, dass in diesem Haus, zu dieser Zeit ein Mensch "erweckt" wurde, der 8 Jahre später in vielen Belangen ein reiferer Mensch geworden ist... der authentischer als je zuvor ist und (trotz vielen Ups and Downs) eigentlich echt stolz auf sich... so lange das alles so ist, so lange werde ich das Gefühl haben:

 

Hierher komme ich, wenn ich mir meine Wege selbst auswähle, gerne zurück.

Das sind meine Comebacks.

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Papa (Dienstag, 24 März 2020 08:51)

    Marlies, ich bin zutiefst gerührt und beeindruckt von deinem Blog.Dein Papa!