Entspann dich endlich, verdammte Scheiße!

 

Es ist unausweichlich. Irgendwann im Leben muss sie jeder Mensch in statistisch höchstwahrscheinlichem Maße einmal durchmachen - sei es auf Kur, Reha, beim Massen-Yoga, beim Autogenen Training oder sogar freiwillig: die Fantasiereise.

Es ist ja auch legitim: Da hat man zum Beispiel gerade eine schwere Krankheit hinter sich oder ist noch mittendrin - klar, dass das anstrengend, kräftezehrend und belastend ist. Da hat man sich die kleine Auszeit im Kopf doch wirklich verdient, oder?

Also husch husch, sucht euch eine bequeme Stellung, wo ihr die nächsten endlosen Minuten mehr oder weniger freiwillig problemlos verbringen könnt, und Augen zu!

RELAX!

 

Du befindest dich auf einer wunderschönen Insel in der Karibik.

An einem Gebirgssee wär mir lieber gewesen, aber gut.

Das Wasser ist türkisblau und rein.

Kein angeschwemmter Plastikabfall? Das ist ja total retro. Ach ja, Memo an mich: Nächstes Mal vor der Reha nicht vergessen, den Plastikmüll zur Gelben Tonne zu bringen.

Die Sonne strahlt dich angenehm warm an.

Ich hoffe, ich bin mindestens mit Lichtschutzfaktor 50 eingecremt. Einmal Hautkrebs reicht mir irgendwie. Schluss jetzt! Konzentration. Einatmen. Ausatmen. Aber abwechselnd.

Du kannst ganz viele Palmen erkennen und Bäume mit farbigen Blüten, die ihren Duft verströmen. Bunte exotische Vögel fliegen am Himmel oder sitzen in den Bäumen.

Na also, geht doch. Ich bin ganz ruhig und entspannt. Ha, ich kann das!

Die Luft ist rein und klar, die Farben der Insel sind intensiv und voller Kraft. Du kannst in weiter Ferne einen Wasserfall entdecken.

Kann ich nicht erkennen - ich hab die Brille nicht auf. Ich seh' wieder schlechter, kommt mir vor. Ob ich wohl bis März noch einen Augenarzttermin bekomme?

Sein Wasser ergießt sich ins Meer. Regenbogenfarben bilden sich um seinen Wasserdampf.

Das ist, weil das Licht sich bricht. Dasselbe Phänomen, als wenn ein Regenbogen am Himmel erscheint. Oder? Ich muss nachher googeln. Ruhe jetzt!

Du fühlst dich ganz und gar wohl auf dieser paradiesischen Insel.

Ja, sicher nicht unmöglich, aber mein Kopf liegt zu niedrig, und irgendwas drückt mich im Rücken. Womöglich hat die Gymnastikmatte eine Falte geschlagen. Sicher so ein billiges Trumm made in China. Apropos: das Corona-Virus ist mir wurscht, das ist doch eh wieder unnötige Panikmache. Die Leute sollten sich echt mehr entspannen.

Alles um dich herum ist friedlich. Du sitzt am Strand. Der Sand ist ganz fein und weiß. Du lässt ihn durch deine Finger rieseln und spürst die feinen Körner.

Hoffentlich zwickt mich kein Krebs. HAHA, Wortwitz!! Nein, nicht grinsen, hör auf... die Therapie-Tante merkt das sicher, und dann bin ich für die nächsten 2 1/2 Wochen unten durch. Ich glaube nämlich, die ist eigentlich eine ganz Schoarfe. Nicht Ibiza-schoarf... das andere schoarf. Und ich sollte mal was gegen meine Harmoniesucht unternehmen.

Der Sand unter deinem Gesäß formt eine angenehme Grube...

... oder einen breiten Krater, so dass man einen ganzen Rochen darin ausbreiten könnte. Ich muss abnehmen. Oder zumindest die Süßigkeiten einschränken. An jedem ungeraden Tag wenigstens.

Der Geruch des Sands vermischt sich mit dem Geruch des Meeres. Atme ein und nimm den Duft tief in dich auf.

Okay. (Reiß dich zusammen!)

Deine Gesichtszüge sind ganz entspannt, du atmest nun regelmäßig, lässt die Atemzüge kommen und gehen.

Ja. Ich mach ja.

Die Sonnenstrahlen spiegeln sich im Meer. Vögel fliegen über das Wasser. Eine leichte Brise streift deine Haut und du fühlst dich absolut wohl.

Nein, eigentlich nicht. Lieg' ich hier nicht schon seit mindestens zwanzig Minuten? Ich mag nicht mehr. Muss ich auf's Klo? Ich muss auf's Klo. Hamsterblase. Nein, nicht dran denken - entspannen. Mich und die Blase (letztere aber nicht zu sehr).

Schau dich am Strand um, schau dir alles genau an. Gräser, Halme, Palmen, exotische Blumen, Kokosnüsse an den Palmen.

Die Szene in "Cast Away", als Tom Hanks die Kokosnuss endlich geknackt hat! Ich schau' den Film immer wieder gern, hauptsächlich wegen der spannenden Flugzeugabsturz-Szene. Ja, echt gut. Wilson! Wilsooooon! Soll ich das jetzt rufen? Oder wenigstens flüstern? Auf die Reaktionen wär ich gespannt, hihi! Nicht lachen... Gesichtszüge entspannen und auf den Atem konzentrieren. Würde mir besser gelingen, wenn das alles nicht im Kindergartentanten-Stil vorgetragen ... was war das? Hat da wer gefurzt? Ich war's nicht.

Atme die Meeresluft ein. Genieße diese Zeit, sie ist nur für dich da.

... Und für fünfzehn andere Gymnastikmatten-Insulaner, die sicher in einem trance-artigerem Zustand sind als ich. Mal blinzeln, vorsichtig und unbemerkt umschauen. Tut man ja nicht, sowas. Egal.

Fühle die angenehme Wärme deines Körpers. Fühle wie die Wärme in deinem ganzen Körper zu strömen beginnt.

Wie jetzt? Ist die nun schon da oder strömt die erst? Ich hasse es, wenn was unklar ist.

Eine angenehme Schwere begleitet diese Wärme. Du fühlst dich vollkommen entspannt!

Ja. Gleich. Bestimmt. Was es wohl nachher zum Mittagessen gibt? Hoffentlich nicht wieder was mit Fenchel.

Du erhebst dich und schlenderst am Strand entlang. Spüre den Sand unter deinen Füßen und wie dein Gewicht diesen etwas zur Seite drängt.

Na super! Danke für die Erinnerung - ich dachte, das Thema hatten wir schon!

Laufe ein Stück am Meer entlang, so dass die Wellen deine Füße gerade so umspülen. Das Wasser ist angenehm warm.

Da war doch so ein Song von Harry Belafonte. Irgendwas mit "Island". Mir fällt immer nur der "Banana Boat Song" ein.

Du kannst deine Fußspuren im nassen Sand sehen. Genieße das Gefühl, mit dem Wasser in Kontakt zu treten.

Das ist ja nicht gerade ein literarisches Glanzstück, diese Fantasiereise. Wann kommt denn der Teil mit dem Selfie mit Palmenhintergrund? Insta-Biiiiitch, klick! Nicht grinsen, nicht grinsen! Das fällt auf!

Nimm die Atmosphäre ganz und gar in dich auf. Fühl dich frei, fühl dich ausgeglichen.

Kann ich nicht auf Befehl. Come, mister tally man, tally me banana, daylight come and me wan' go home. Ja, geht mir auch so. Lebt Harry Belafonte eigentlich noch?

Sieh zu, wie das Hin und Her der Wellen immer wieder kleine Muscheln anspült. Ein leichter Wind weht dir entgegen, streift deine Haare, streift dein Gesicht. Du wendest dein Gesicht dem Meer zu und genießt die kühle Brise auf deiner Stirn.

Werde ich gerade eine Spur entspannter? Tatsächlich! Ich kann mich da jetzt endlich ein wenig reinfallen lassen! Ha, ich wusste, ich schaffe es doch! Na also!

Schau dich noch einmal, nimm diese wundervolle Insel mit dir mit und geh' zu deinem Ausgangspunkt zurück. Begib dich nun auf deine Heimreise.

Was? Nein! Doch nicht jetzt! Ich war gerade so drinnen!

Fühle diese angenehme Schwere in deinem Körper, in deinen Gliedmaßen. Du fühlst die Entspannung und die wohlige Wärme. Mit diesem Gefühl des Glücks kehrst du langsam von deiner Fantasiereise zurück.

Och nööööö..... Nein, passt eh. Mein Hintern ist eingeschlafen. Meine Nachbarin auf ihrer Matte auch, die schnarcht nämlich leise.

Öffne nun langsam die Augen...

Gemacht!

... und räkle dich, wenn du magst.

Mag nicht. Darf ich aufstehen?

Atme nochmals tief durch. Du bist vollkommen zurück in der wachen Welt.

Nein, ein Teil von mir vergnügt sich noch mit Kokosnüssen im Banana Boat, aber meine steifen Muskeln und Gelenke wollen hochgehievt werden. Zeit für's Mittagessen, der Fenchelsalat wartet! Daaaaay-o und Mahlzeit!

 

 

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Rösi (Donnerstag, 06 Februar 2020 07:11)

    Danke.....Eine gelungene Geschichte.sehr gut gemacht liebe Marlies ! ���
    Hätte gern den Text von letzter Woche gelesen.
    Wo finde ich ihn ?�

  • #2

    Marlies (Donnerstag, 06 Februar 2020 07:44)

    Liebe Rösi,
    dankeschön! :-)
    Du findest alle Beiträge auf der Webseite unter “Blog“.