"Hair, hair, hair, hair, hair, hair, hair, hair - flow it, show it, long as God can grow it, my hair"*


*aus dem Film "Hair"

 

Lasst uns über Haare sprechen. Oder viel mehr: über Haarlosigkeit.

Denn bei vielen Krebserkrankungen, die mit einer Chemotherapie behandelt werden, gehört zu den sichtbarsten Nebenwirkungen, dass sich die Haarpracht verabschiedet. (Natürlich gibt es auch noch andere Formen von Haarverlust bzw. -ausfall, zum Beispiel hormonbedingt, aber davon ist in diesem Fall nicht die Rede.)

 

 

Wie gut ich es noch weiß, als ich nicht lange nach Diagnosestellung des Mammakarzinoms mein erstes Arztgespräch mit Frau Dr. H. - meiner Onkologin (die mein Vertrauen übrigens bis heute genießt und von der in meinem Blog bestimmt noch die Rede sein wird) - über die geplante Chemotherapie hatte.

Die erste zu erwartende Folge meiner Chemo würde definitiv der Verlust meiner Haare sein.

Besonders erschüttert hat mich das nicht, und mir ist klar, dass ich damit eher zu den Ausnahmen gehörte. Die meiste Zeit meines Lebens waren meine Haare kurz gewesen, manchmal sogar nur wenige Millimeter. Dass ich sie nun ganz einbüßen würde, machte mich eher... nun ja... neugierig. Wie würde das sein? So ganz mit "Platte"? Aber im Winter? Brrr...

 

Es war dann etwa 10-14 Tage nach Verabreichung des ersten "Cocktails", als ich feststellte, dass es langsam zu rieseln begann. Das Haupthaar war da nicht einmal der Anfang. Haarschneidemaschine und Nassrasierer lagen schon lange bereit, und als es sich nicht mehr leugnen ließ, dass den Haarwurzeln, langsam aber sicher, die "Luft" ausging, nahm ich die Sache selbst in die Hand.

Zugegeben, es bedeutete auch für mich eine nicht zu unterschätzende Umgewöhnung. In den Wintermonaten ist es "oben rum" selbst in beheizten Innenräumen ganz schön kalt. Optisch hat es mich jedoch zu keiner Sekunde betrübt. Weil ich wusste, dass die Haare nachwachsen würden und es mir nicht schwer fiel, mich Folgeerscheinungen wie diesen mit Pragmatismus zu stellen. (In wenigen Monaten würde ich außerdem noch einen weiteren, "gewichtigeren" Teil meines Körpers opfern müssen, da waren Haare noch das geringere Übel.)

Dass sich die Kopfhaut als spiegelglatt präsentiert, stimmt in den meisten Fällen übrigens nicht. Auch bei mir war hier und da etwas farbloser Flaum zu sehen und immer wieder stemmten sich Haarstoppel tapfer gegen die chemisch-toxischen Substanzen im Körper. Da die Berührung jedoch schmerzte, zückte ich immer wieder den Bic-Rasierer...

 

Und wie war das mit Glatze in der Öffentlichkeit, Frau Blogschreiberin? - Also, lügen werde ich jetzt nicht. Ich hatte eine Art natürlicher Hemmung, mich dem "gesunden Umfeld" (und damit meine ich in erster Linie Fremde) "blank" zu zeigen. Die Schau-mal-die-hat-sicher-Krebs-Blicke wollte ich nicht unbedingt am Leib kleben haben. Aber so war es dann letztlich nicht, bei den zwei oder drei Gelegenheiten, als ich meine Baseballkappe in einem Restaurant oder dergleichen ablegte. Es war das Normalste der Welt und schien nicht groß aufzufallen.

Apropos Kappe: Meine "NY"-Kappe hat mich tapfer all die Monate begleitet. Ich habe sie immer noch, gedenke aber nicht, sie jemals wieder auf meinen nun wieder behaarten Schädel zu setzen. Die bleibt ein Andenken. :-)

In diesem Zusammenhang war für mich eine Perücke übrigens nie ein Thema, und ich denke, wer mich kennt, wird darüber nicht im Mindesten überrascht sein. Auch ein gewickeltes Tuch oder ähnliches wollte ich nicht auf dem Kopf haben. Das war mir zu sehr Krebs ... das ging doch nicht.

 

Es hat 6 Chemozyklen gebraucht, bis sich auch meine Augenbrauen zu lichten begannen, aber sowohl sie als auch die Wimpern sind mir nie komplett abhanden gekommen. Damit hatte ich Glück (das andere nicht haben, ich weiß).

 

Nun war natürlich klar - irgendwann kommen sie wieder. Das war ein paar Wochen nach der letzten Chemo dann auch der Fall. Den ersten Klecks Shampoo in der Dusche feierte ich wie einen Geburtstag (gar nicht mal so falsch) und interessiert beobachtete ich, wie fein das Haar wuchs - erst farblos, dann grau.

Aber das war ja noch nicht alles. So sollte es nicht bleiben, denn was da wuchs, wurde immer dichter und... lockiger. Denn auch das ist kein Mythos, sondern kommt in vielen Fällen vor: die Textur der Haare verändern sich durch die Chemotherapie.

Aber dass mir gleich ein Chewbacca-Fell wachsen würde....

Zum Glück war dann auch wieder meine gewohnte braune Haarfarbe im Spiel, da sich die "graue Farblosigkeit" verflüchtigte.

In der Folgezeit war ich nicht unglücklich über meine "Curlies", denn mir machten diese Locken wirklich Spaß, waren angenehm zu pflegen und verleihten mir diese gewisse kecke Note.

"Haare!"

 

Bei einem Familienbesuch in NÖ nach ein paar Wochen Therapie stellte ich mir die Frage, wie ich gegenüber meiner kleinen Nichte Selma mit meinem Aussehen umgehen sollte. Sie war damals noch keine 3 Jahre alt. Ich wusste aber, dass meine Schwester ihr in einfachen, ehrlichen Worten von meiner Krankheit erzählt hatte.

Was würde ich über meine Glatze sagen?

Antwort: Gar nichts.

Ich habe, als ich am Esstisch Selma gegenüber saß, die Kappe wortlos abgenommen.

Sie sah mich an, verzog keine Miene, "studierte" mich, dachte nach.

Nach wenigen Augenblicken nickte sie fast unmerklich und es war, als wäre nichts geschehen.

Das war es auch nicht, denn dieses kleine, kluge Mädchen hatte innerhalb weniger Sekunden die Entscheidung getroffen, mich und die "Glatzen-Situation" zu akzeptieren. Ganz einfach.

Aber entgehen würde ihr in der Folge nichts...

Da ich über 100 km entfernt lebe, sahen wir uns nicht oft, aber einige Monate später war ich wieder einmal zu Besuch, und wir saßen in Selmas Zimmer auf dem Boden und spielten.

Mittendrin sah sie auf, und ich bemerkte, wie ihr Blick zu meinem kräftig wachsenden Haarflaum wanderte.

Sie lächelte mich an, und mit ihren großen braunen Augen sah sie mir ganz offen und freundlich ins Gesicht - wie in jenem Moment, als ich ihr meine Glatze gezeigt hatte.

 

"Du hast Haare da oben."

Kommentare: 1
  • #1

    Christa (Mittwoch, 01 Januar 2020 12:28)

    Also erstmals vielen Dank für die Widmung, wie konnte mir dies und der Blog bis dato entgehen?!?! Naja, wir CHT-Pat. sind ja nicht immer mehr die Konzentriertesten und Aufmerksamsten � Ich fühle mich für die Widmung geehrt, vielen lieben Dank, Marlies! Und ja, das Thema Haare kennen wir alle. Hätte ich in dem KH, in dem ich meine CHT habe, nicht auch gearbeitet, so wäre ich auch "oben ohne" gegangen, aber das war mir dann doch zu heftig. Meine Tücher hab ich verschenkt und mir selbst Haubis gestrickt, die überall gut angekommen sind �
    Ich freue mich, weiter deinen Blog zu lesen!

    LG Christa