Fernab von "Allem"

Jemand hat mir ein Foto geschickt.

Von einer Holzhütte im winterlich-verschneiten Bergland, aus deren Schornstein Rauch quillt.

 

"Da wäre ich heute gerne", schrieb dieser Jemand.

"Sieht so gemütlich aus und ist fernab von 'Allem'."

 

Von "Allem".

Das mag, gerade in Zeiten wie diesen, vieles sein.

Von den Teuerungen, von Berichten über Krieg und anderes Elend auf der Welt, von der Klimakrise, von Ignoranz und Hass, von den kleinen und größeren persönlichen Problemen, die man hat. Jeder von uns.

 

Von "Allem".

Das heißt auch, von Krankheit und Tod.

Von der Diagnose, die man vielleicht gerade bekommen hat und die alles, was man als sicher und gut erachtet hat, gehörig ins Wanken bringt.

Von der Behandlung, die einem möglicherweise alles abverlangt und an die eigenen Grenzen bringt.

Von dem "Danach", das sich oft als so mühsam und erschöpfend erweist und man sich nur noch "Normalität" zurückwünscht.

Von den guten und den schlechten Nachrichten.

Von der Angst. Ganz besonders von der Angst, die sich oft nur vorübergehend abschütteln lässt.

Von der Frage nach dem Sinn von "Allem".

Wenn man müde ist von "Allem", und es erscheint, dass die Krankheit nur Schutt und Asche hinterlassen hat (auch wenn das nicht wirklich so ist, aber es kommt einem so vor).

 

Wenn "Alles" dafür gesorgt hat, dass man sich nicht freut, wenn man sich "normalerweise" freuen sollte, weil man doch soviel hinter sich und "geschafft" hat.

Wenn "Alles" einen ausgelaugt und verändert zurückgelassen hat und man mit einem Gefühl von Konsterniertheit und Neid auf all die strahlenden "Krebshelden" blickt, die - vermeintlich oder auch real - ihr Leben herumgerissen und zum markant Besseren verändert haben.

Wenn es selbst nicht für genug Lebenswillen reicht... nur für Überlebenswillen, und davon noch viel zuwenig eigentlich. ... Wenn man denn genau hinschauen will. ... Oder das besser auch nicht tut.

 

Wenn einem die Worte fehlen, um auszudrücken, was man so gerne möchte, aber nicht kann.

Wenn andere aber trotzdem verstehen - oder sich zumindest Mühe geben.

 

Wenn man "Allem" entfliehen will, dann bietet sich in der Phantasie eine verlassene, gemütliche Hütte auf einem verschneiten Berg an, um genau das zu tun. (Denn nicht immer hat man die Möglichkeit, die Vorstellung auch Wirklichkeit werden zu lassen.)

Warum auch nicht?

 

Was auch gut geht, und da spreche ich aus Erfahrung:

Die grüne, irische Landschaft mit all seinen sanften Hügeln, den langgezogenen Steinmauern, den charakteristischen Burgen, den zahlreichen Schafen (dann und wann ist auch ein schwarzes darunter - so etwas muss einfach sein).

Der Kies des Wanderweges knirscht unter den Schuhen, und der aufkommende Wind trägt einen Hauch von Salz mit sich, denn das Meer - rauer und wilder als im Süden - ist nicht weit.

Danach setzt man sich in ein Pub mit den typischen dunklen Holzvertäfelungen an den Wänden, und während man die Lippen in der Schaumkrone des perfekt gezapften Guinness-Bier-Pints versenkt und aus der Küche der Duft von Fish & Chips, heißer Suppe oder auch von warmen Scones mit Butter und Marmelade herüberzieht, dann ist man wahrlich weg.

Von ALLEM.

 

Vielleicht bedeutet "fernab von Allem" aber auch, dass man gedanklich (oder durchaus auch tatsächlich) zu den Orten seiner Kindheit und Jugend zurückreist - zu den Orten, an denen man einst glücklich war. Vielleicht auch nicht ganz so glücklich, aber dann ist dieses Hinreisen etwas, um vielleicht seinen Frieden damit zu machen und Verschiedenes hinter sich zu lassen.

 

Fernab von Allem, weg von Allem, ganz woanders sein.

 

Vielleicht in der Disco, in der man zum ersten Mal tanzt, als man noch jung ist, wunderschön ist, als das Leben noch leicht ist und ungekannte Verheißungen birgt. Wenn man dem jungen Mann da drüben, mit der Bierflasche in der Hand, den Kopf verdreht, mit blonden Haaren und Minirock und diesem perfekt gezogenen Lidstrich, wie er üblich ist damals.

Oder man ist jung, entdeckungsfreudig, möchte andere Länder bereisen und etwas erleben, und das persönliche kleine Glück auf Erden bedeutet, CCR und die Stones per Tonbandmaschine zu "studieren" und dabei Akkorde auf der eigenen E-Gitarre zu spielen. Musik ist das ganze Leben... auch wenn diese Leidenschaft im Laufe des Lebens verblasst - vergehen wird sie nie.

Oder man steht mit leuchtend roten, heißen Wangen auf einer Bühne, das Herz schlägt freudig-schnell und man weiß, dass man gerade die Tanz-Performance seines Lebens hingelegt hat ... und das im Kollektiv, denn alle sehen sich an, strahlend, stolz, und man möchte nur noch eines: die Welt aus den Angeln heben.

 

Fernab von "Allem" zu sein - das kann bedeuten, dass vieles, sehr vieles, sich nicht mehr tatsächlich zurückholen lässt. Das geht dann nicht, schon gar nicht mit einem Fingerschnippen.

Vielleicht wird das Herz schwer und eng und sehnt sich nach der Weite, die man damals empfunden hat, als alles anders war, leichter war und manchmal nicht unterteilt war in "Davor" und "Danach".

 

Nichts jedoch kann uns davon abhalten, die Augen zu schließen und uns auf die "Reise" zu begeben, denn auch wenn sich die Zeit nicht manipulieren lässt und Teleportation nur in Science-Fiction-Filmen wirklich funktioniert, so können wir innerhalb eines Herzschlages doch da sein, wohin wir uns sehnen.

 

In der verschneiten Berghütte.

Im grünen Irland.

Tanzend in der Disco.

Ein Gitarrensolo spielend.

Tanzend auf der Bühne.

 

Gesund.

Stark.

Schön.

Frei von Traurigkeit, Schwere, Auswegslosigkeit.

Frei von dem, was wir nicht sein können, nicht sein wollen.

 

Wir können sein, was immer wir wollen, wer immer wir sein wollen.

Jederzeit, immer, so lange und oft wir wollen.

 

So manche oder so mancher mag jetzt belustigt grinsen ob meiner Naivität, denn so einfach ist es ja nicht, oder?

Außerdem erzähle ich hier nichts Neues, was nicht schon durch unzählige psychologische oder auch spirituell-esoterische Fleischwölfe gedreht wurde.

Das stört mich nicht, das ist mir egal.

Es ist deswegen nicht weniger wahr.

 

You may say I'm a Dreamer, sang schon John Lennon, und ich kann mir vorstellen, dass er sich gerade wegen seiner schwierigen, entbehrungsreichen Kindheit oft "fernab von Allem" weggeträumt hat.

 

Der Song heißt "Imagine".

 

Stell es dir vor.

 

 


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar von Monika Hartl, Krebshilfe OÖ

 

 

Davor und danach

 

 

„Ich möchte mein Leben zurück!“

„Ich möchte mich wieder frei und unbeschwert fühlen!“
„Früher war alles so viel einfacher!“
„Vor der Erkrankung war ich eine Power-Frau!“

 

Solche und ähnliche Aussagen hören wir in den Beratungsgesprächen sehr oft.

Eine Krebsdiagnose stellt das Leben auf den Kopf, verändert vorrübergehend – oft auch langfristig das eigene Leben in sehr vielen Bereichen und bringt viele Herausforderungen mit sich.
Betroffene sind ständig damit gefordert, „Wege“ zu finden, um mit der veränderten, belastenden Situation fertig zu werden.

Krankheitsbewältigung. Klingt so einfach, ist es aber nicht.

Nachsorge. Da steckt die Sorge schon im Begriff.

 

Ich habe kürzlich einen Film gesehen, in dem es um eine 2. Chance für eine Frau ging, die sich offensichtlich vor etwa 10 Jahren für den falschen Mann entschieden hat und nochmals „zurückgebeamt“ wurde. Sie erlebte, wie ihr Leben anders verlaufen wäre, wenn….dann…..

 

Wir älteren Semester kennen natürlich das „Beamen“ von „Raumschiff Enterprise“, oder die Fähigkeiten der „Bezaubernden Jeannie“.
Auch bei „Harry Potter“ gibt es dafür verschiedene Reisemöglichkeiten. Ich glaube, man muss kein Fantasy Fan sein, um diese Vorstellung zu lieben.

 

Wäre es nicht großartig, wenn wir bei Bedarf an einen anderen Ort oder sogar in eine andere Zeit reisen könnten?

Weg von „ALLEM“ was uns gerade belastet, überfordert, zu viel ist, uns traurig macht oder schmerzt.

 

Eine Freundin, die gerade eine „harte Zeit“ durchlebt, hat sich gerade eine Woche „außertourlichen Urlaub“ gegönnt um Abstand zu gewinnen, die Gedanken zu ordnen und Sonne und Kraft zu tanken.

 

 

Diese Möglichkeit besteht natürlich nicht immer.

 

Jedoch können wir alle auf unterschiedlichste Art und Weise in unsere Fantasie reisen.
Natürlich verändert das nicht, was ist, es hilft uns aber dabei, „sorgenfreie Zonen und Auszeiten“ zu schaffen.

 

Eine Möglichkeit dazu bietet das Lesen. Man kann in eine (ausgesuchte) Geschichte eintauchen und den eigenen Alltag für diese Zeit „zur Seite stellen.“

"Bücher sind fliegende Teppiche ins Reich der Phantasie."
(James Daniel)

 

Auch ein Eintauchen in schöne Erinnerungen, gerne auch mit Hilfe von Fotos kann wieder diese wundervollen, damit verbundenen Gefühle auftauchen lassen.

 

Ein Patient, der durch die Krankheit und Therapien nicht in der Lage war zu reisen und dies sehr bedauerte, erzählte mir in einem Beratungsgespräch von früheren Reisen und damit verbundenen Erinnerungen.
Dabei hat sich seine Körperhaltung, sein Gesichtsausdruck und schließlich auch seine Stimmung und Wohlbefinden sichtlich verbessert.

 

Man kann auch ganz gezielt Fantasiereisen an einen realen oder fiktiven Wunschort, einen „Ort der Ruhe und Kraft“, einen Wohlfühlort machen.

Das ist für manche Betroffene anfangs manchmal schwierig, mit der Zeit gelingt es meistens immer besser und besser.

Wer das einmal ausprobieren möchte, wird sehr viel dazu finden: CDs, Bücher, Anleitungen auf z.B. „youtube“ usw, aber grundsätzlich genügt die eigene Fantasie, Vorstellungskraft, unsere Erinnerungen, Wünsche und Träume.

Wenn man es schafft – so wie wir das alle als Kinder gemacht haben – wieder mehr und mehr die eigene Fantasie zu nutzen, kann man diese unerschöpfliche Ressource unabhängig von Tageszeit und Ort jederzeit nutzen.

Versuchen Sie es doch gleich heute……

 

 

 

"Ich kann mir vorstellen, was ich will, wen ich will, und wo auch immer. Ich kann meine Kindheitsträume ausleben."
(Zitat aus dem Film „Schmetterling und Taucherglocke“)

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Kommentare: 1
  • #1

    Poldi (Dienstag, 22 November 2022 08:01)

    Ich drücke dich für diesen Blog-Beitrag. Du schreibst mit viel HERZ, aus der SEELE und mit viel Liebe! Mama