Comic-Barbie-Kuchenbrösel des Herzens

Ich hatte sie sorgsam gewaschen und mit Licht aufgeladen, weil man das so macht mit Edelsteinen, damit sie ihre Wirkung voll entfalten können.

Dann habe ich sie in meine Hosentasche gesteckt und sie praktisch dort gelassen... über Monate hinweg.

Hosenwechsel und Zeiten, in denen ich gar keine Hose mit Taschen trug, sind da natürlich ausgeklammert.

 

Ich hatte sie immer bei mir, trug sie aus Überzeugung und mit Stolz.

"Sie" das sind der Zitronen-Chrysopras (auch Gaspeit genannt) und der Weiß-ich-leider-nicht-mehr-Stein.

Ich bin kein Experte und kann den dunkleren Stein - jetzt, nach Jahren - nicht mehr zuordnen. Den "Waschzettel" mit Bezeichnung und Eigenschaften habe ich auch verloren. Hat wohl ein paar Umzüge nicht überlebt.

 

Es ist nicht wichtig. Es zählt, dass diese beiden Steine (wie sie auch heißen mögen) von jemandem mit großer Sorgfalt und sehr liebevoll ausgewählt wurden: von meiner Schwester.

 

Ihr kennt meine Schwester schon... ich habe ihr bereits einen Blogbeitrag gewidmet.

 

Sie ist die Meisterin der kleinen Geschenke. Immer schon gewesen.

Früher, als wir Kinder waren, ließ sie mir feuchte Kuchenbrösel auf dem Teller zurück, schob mir eine ausrangierte Barbie-Puppe rüber (ich lehnte dankend ab) und zeichnete mir Comics zu besonderen Anlässen - letzteres eine Tradition, die sie später direkt an ihre eigenen Kinder (vor allem ihren Sohn) weitergab.

 

Während ich naturgemäß ein eher einfallsloser Typ bin, was Präsent-Kreativität betrifft, gab es von meiner Schwester immer etwas "mit Herz". Das musste eben nichts Großes sein, aber auf jeden Fall etwas Durchdachtes.

 

Als ich bereits aus dem Haus war und sie vielleicht 14 oder 15, schenkte sie mir einen kleinen bunten Block, den sie handschriftlich gefüllt hatte (sowas gab's damals noch). Doch nicht nur das - auf vielen Seiten prangten auch kopierte Fotos aus nahezu allen Lebensepochen bis zu diesem Zeitpunkt.

Es war ein sehr salopp geschriebener Text (Teenager halt), aber mit soviel durch die Seiten durchscheinende Wärme und Ehrlichkeit, dass ich mehr als nur gerührt war.

Möglicherweise war das unsere erste, "richtige" Annäherung abseits vom bisherigen "Kinderkram".

 

Krasser Zeitsprung -> es ist 2013 und ich habe Krebs.

Ich bekam die Edelsteine.

Man mag an deren Heilkraft und Wirkung glauben oder nicht (ich tu's), das spielt keine Rolle - wichtig war die Geste und die nicht-zufällige Auswahl gerade dieser Steine.

Alle beide (der unbekannte zweifellos auch) voll ausgerichtet auf Leidenslinderung, Kraft schöpfen und Mut geben.

 

Ich weiß, ein Teil meiner Gesundung liegt an meinem festen Willen, an meinem Fokus und mein Vertrauen in mich selbst, in - keine Ahnung - eine höhere Macht, in dem Sinn des Ganzen.

 

Die Steine, die in all meinen Hosentaschen mit mir umherwanderten, gehörten dazu, und wenn ich mich ihrer Gegenwart versichern wollte oder musste, versenkte ich die Hand im Stoff und fühlte die kühle, unnachgiebige Festigkeit ihrer glatten Oberfläche...

... und ich vertraute.

 

Jetzt springen wir ein paar Monate zurück zum Herbst 2012, ganz an den Anfang des Dramas, an meine ersten Krankenhaustage, als nicht nur ich alleine im Bett lag, sondern auch meine neuen ungewollten Kumpels Melanom und (vielleicht) Mammakarzinom.

Trotz dem der Funken entzündet wurde und ich mich mit der Situation ganz langsam und schmerzhaft zu arrangieren begann (was blieb mir auch anderes übrig?), war jeder Tag eine Qual und voll von namenlosem Schrecken, denn ich war unbewusst ständig in Angst vor noch mehr schlechten Nachrichten - oder der einen Nachricht: dass man nichts mehr tun könne... Heilung ausgeschlossen. Die kam zwar nicht, aber das wusste ich damals noch nicht und eine Aussage darüber konnte man auch noch nicht treffen. Wie auch? Die Therapien waren ja noch nicht einmal festgelegt.

 

Ich glaube, es war ganz kurz vor der endgültigen Diagnose, dass das Ding in meiner rechten Brust tatsächlich Krebs war.

Wie fast jeden Tag schob man mich in meinem Rollstuhl (ich durfte wegen der Melanom-OP mit Hauttransplantation ja nicht gehen) zum täglichen Termin mit der Psychoonkologin, die mich dankenswerterweise sehr engmaschig begleitete.

Ich war - das weiß ich noch - nicht gut drauf, was ja kein Wunder war. Genau genommen war ich nervös, traurig und gleichzeitig auch wie betäubt, als hätte man über meine Seele ein Netz aus einem Lokalanästhetikum gespannt.

Man brachte mich nach dem Termin zurück ins Zimmer, und dort wartete etwas auf mich.

Ein kleines Paket.

"Das ist vorhin für Sie gekommen", sagte die Schwester.

 

Wenige Minuten später saß ich in meinem Bett, mit der Schachtel auf meinem Schoß. Ich war allein.

Der Absender... war meine Schwester. Ich blickte auf ihre wohlvertraute Schrift und merkte, wie das "Betäubungs-Netz" sich nicht zusammenzog, sondern zu lockern begann.

Ich wusste, dass das jetzt nicht leicht werden würde.

Ich öffnete das Paket.

 

Ich weiß nicht mehr, was alles drin war. Ein paar Dinge. Kleine Aufmerksamkeiten... unter anderem zwei bunte Geduldsspiele von denen SIE wusste und auch ICH wusste, dass ich sie bestimmt nicht länger als höchstens ein paar Minuten benutzen würde. Aber sie waren DA... darum ging's.

Dabei lag ein kleiner handschriftlicher Brief, den ich leider nicht mehr habe. Ich weiß jedoch noch, dass meine Schwester sich mit zurückhaltenden, sensiblen, liebevollen Worten äußerte. Nur ein paar Zeilen... und sie drückten aus, dass mir diese kleinen Dinge dabei helfen sollten, die Zeit des Wartens, der Ungewissheit und der Angst ein wenig besser auszuhalten.

Vor allem aber sollten sie mir zeigen, dass da jemand war, der all das sehr sorgsam ausgewählt hatte und mir zu verstehen geben wollte, dass ich nicht ALLEINE war... mit all dem.

 

In diesem Moment, als ich das las und diese Dinge berührte, wurde das "Netz" weggezogen und vieles von dem, was ich - auch mit Hilfe des Funkens - konsequent weggepackt hatte und für irgendwann später konservieren wollte, brach mit einem Mal auf.

Ich saß da, mit der Schachtel auf meinem Schoß, die ich fest umklammert hielt, und weinte so bitterlich und ungehemmt wie zuvor nicht und danach auch nie wieder. Nur ein paar Minuten lang, aber es strömte alles heraus.

Mir wollte das Herz schier platzen.

Warum? Weil ich so berührt war von der Gesamtheit dieser kleinen Geste. Von ihr... natürlich von ihr... es waren kleine Comic-Barbie-Kuchenbrösel des Herzens.

 

Ich glaube, dass dieser Ausbruch - von dem niemand etwas mitbekommen hat (bis heute nicht), denn ich war ja allein im Zimmer und habe es auch danach nicht erzählt - etwas sehr Heilsames für mich hatte.

Es ist ja super, mit all dieser Superkraft und dem Funken und der Ich-konzentriere-mich-auf-dieses-Ziel-Mentalität.

Es ist schön, wenn man sich trotz einer so schweren Diagnose (oder Diagnosen) noch den Willen und die Energie zum Kämpfen erhalten oder überhaupt erst entwickeln kann.

(Ihr wisst ja, ich bin ein Verfechter der "martialischen" Sichtweise, was die Überwindung von Krebserkrankungen wie meinen betrifft. Nicht so fight-warrior-mäßig wie bei den Amerikanern, sondern mehr mit "Energie-Fokus", aber eben doch.)

 

Ja, es ist hilfreich, wenn man sich stark zeigen kann und sich auch tatsächlich so fühlt.

Aber es muss nicht immer so sein, und auch das hat seine Berechtigung.

Wer weiß, vielleicht hätte ich das auch ein klein wenig übersehen? Vielleicht hätte ich mich in meiner betäubenden Blase häuslich eingerichtet - oder vielleicht wäre der große Breakdown dann irgendwann gekommen, auf viel hässlichere Weise.

 

Meiner Schwester und ihrem Überraschungspaket habe ich es zu verdanken, dass ich einen Teil meiner aufgestauten Not und Verzweiflung wie durch ein Ventil los- und gehen lassen konnte.

Vielleicht fiel mir auch deswegen alles, was danach kam - die endgültige Brustkrebs-Diagnose inklusive - um einiges leichter.

 

--

 

"Ich sollte mal wieder den ganzen Kleinkram aufräumen", dachte ich gestern, als ich nach irgendetwas in einer meiner zahlreichen Aufbewahrungsschachteln suchte.

Ich fand nicht, worauf ich aus war, aber wie immer wieder mal fand ich diese "Relikte" meiner Vergangenheit.

Jedes Mal denke ich an das, wovon ich eben erzählte, und auch wenn es mir das Herz eng werden lässt, denke ich doch mit einem erleichterten, positiven Gefühl daran zurück.

Ein kleines Stück Befreiung.

 

DAS war das schönste Geschenk bisher, Schwester.

💖

Nicht DIE Schachtel, sondern einer meiner "Chaos-Schachteln", in die alles reinkommt, was nicht niet- und nagelfest ist.

Miss Gaspeit und ihr Gefährte, Mr. Unknown. Sachdienliche Hinweise sind willkommen.

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