Die Flut

Wie jetzt?

Was ist denn das für ein Titel?

"Die Flut"?

(Kollektives Aufstöhnen.)

Will sich eure geschätzte Lieblingsbloggerin jetzt mit Müh, Not, Ach und Krach ein Thema aus den Rippen schneiden und es gewaltsam mit dem Krebs-Thema verquicken, nur damit die Seite gefüllt ist?

Sommerloch, quasi?

 

Nicht so schnell.

Ja, es ist schon wahr - ich benutze gerne tagesaktuelle Geschehnisse als Inspiration für neue Artikel, doch das oben Genannte ist natürlich zu kurz gedacht.

Man kann es drehen und wenden, wie man will - die derzeitigen Wetterkapriolen in Teilen von West- und Mitteleuropa, die teilweise tragische Ausmaße annehmen (siehe die zahlreichen Todesopfer in Deutschland und anderen Ländern) wecken in mir Assoziationen, die vielleicht nicht nahtlos ineinander passen (man kann schließlich nicht Äpfel mit Birnen vergleichen), aber so leid es mir tut: ich kann die Allegorie dahinter einfach nicht ausblenden.

Zu vieles daran erinnert mich an die Zeit meiner Diagnosen.

 

Mich trifft es nicht.

 

Das denkt man wohl, weil das Gegenteilige in der Vorstellung einfach keinen Platz findet.

Mein Haus wird nicht von einer Mure weggerissen.

Ich bekomme ganz bestimmt keinen Krebs.

 

Es darf nicht sein, was nicht sein darf.

 

Du hörst den Wetterbericht und weiß, dass du in einem Risikogebiet lebst, also ziehst du in Betracht, dass................?

Nein, auf keinen Fall.

Du rauchst oder trinkst oder bewegst sich zuwenig oder auch nichts dergleichen ... und erkrankst dann doch an Krebs?

Nein nein... ich bestimmt nicht.

 

Aber eins ist klar: Du kannst Sandsäcke schlichten, notdürftige Schutzwälle bauen und alle Eventualitäten durchgehen... und trotzdem passiert das Schlimmste vom Schlimmsten:

Das Wasser bricht sich Bahn.

Oder du kannst sämtliche "Risikofaktoren" zu eliminieren versuchen, völlig achtsam mit dir selbst umgehen... und trotzdem könntest du auch einfach Pech haben und "jede 8. Frau" oder "jeder 4. Mann" etc. sein, den es "erwischt".

 

Das Wasser ist da - ganz plötzlich da.

Du stehst mittendrin, in deiner Wohnung oder in deinem Haus, und das Unwetter spült das über die Ufern getretene Flusswasser blitzschnell und eiskalt in dein dir heiliges Refugium (nein, das ist nicht sarkastisch gemeint)... den Ort, der für dich eigentlich Sicherheit und Geborgenheit bedeutet.

Oder du wirst von einem lähmenden Gefühl der Ohnmacht gepackt, als du plötzlich - und immer irgendwie ohne Vorwarnung oder Realitätsempfinden - mit der grausamen Diagnose (oder Verdachtsdiagnose) konfrontiert.

Du wirst aus der doch eigentlich behaglichen Normalität deines Lebens gerissen, bist nicht länger "safe".

 

Das Wasser steigt - steigt - und steigt.

Du hast das Gefühl, du kannst nicht entkommen.

Die schlechten Nachrichten über deinen Gesundheitszustand türmen sich zu einem überwältigenden Wall von Tatsachen auf.

Du hast das Gefühl, du kannst nicht entkommen.

 

Du reißt dich irgendwie aus der Erstarrung und brichst vermutlich in Panik aus.

 

Du versuchst dich irgendwie zu retten, und wenn du tatsächlich von der Flut mitgerissen wirst, versuchst du den Kopf über Wasser zu halten. Oder du blickst um dich, siehst deine Habseligkeiten in Wasser und Schlamm versinken, und du hast das Gefühl...

... dass du die Kontrolle verloren hast.

Du wirst durch die Diagnose von einer Welle erfasst, die du dir nicht ausgesucht hast, und du bist noch weit davon entfernt, "auf ihr zu reiten". Du versuchst nicht unterzugehen, nicht zu ersticken, nicht völlig den Verstand zu verlieren. Du blickst auf dein Leben, auf deinen nicht mehr existenten gewöhnlichen Alltag (all das ist abgeschnitten) und du hast das Gefühl...

... dass du die Kontrolle verloren hast.

 

Du hast Angst, dass jetzt alles aus ist.

Du hast Angst, dass jetzt alles aus ist.

 

Meistens ist es das nicht.

 

Nach dieser fürchterlichen Naturgewalt sitzt oder stehst du nass und frierend da und betrachtest geschockt die ungeahnten Ausmaße dessen, was da gerade über dich hereingebrochen ist.

Du siehst die Schäden, dein verwüstetes Leben und du glaubst, du hast ALLES verloren.

Oder du schnappst nach der ersten Phase mit diesen Horror-Nachrichten nach Luft, fühlst dich den betäubenden ersten Stunden oder Tagen wie ein anderer fremder Mensch, und du betrachtest den verheerenden Berg vor dir, die ungewisse Zukunft... und du glaubst, du hast ALLES verloren.

 

Du weißt, dass es sehr lange brauchen wird, bis alles aufgeräumt und wieder aufgebaut ist, und vielleicht wird es nie mehr so wie zuvor

... und vielleicht kommt das Wasser zurück.

Dir ist klar, dass du eine lange Genesungszeit haben wirst, bis du auch nur annähernd wieder den Zustand erreichst, den du vor der Erkrankung gehabt hast

... und vielleicht kommt der Krebs zurück.

 

Aber du gibst nicht auf.

Aber du gibst nicht auf.

 

Du gibst nicht auf!

 

 

Ist das alles sehr drastisch formuliert? - Ja, bestimmt.

Ist es vielleicht auch übertrieben dargestellt? - Das kann sein.

(Vielleicht ist der Wasserschaden im Haus nicht massiv.

Vielleicht wurde der Krebs im Anfangsstadium entdeckt und hat noch nicht viel Schaden angerichtet.)

 

Will ich euch Angst machen? - Nein!

 

Es gibt sie, diese Parallelen... und ich ziehe sie jetzt einfach, diese Vergleiche, egal ob "hinkend" oder nicht.

Ich habe zum Glück noch nie erlebt, wie es ist, sein Haus, Hab und Gut, Angehörige oder das eigene Leben gefährdet zu sehen, durch Naturgewalten.

Aber ich habe am eigenen Leib gespürt, wie es ist, wenn die "Naturgewalt" in Form einer lebensbedrohenden Krankheit über einen hereinbricht.

Ich habe miterlebt, wie Menschen, die mir etwas bedeuteten, den Kampf gegen diese Krankheit verloren haben (und ja - ja - JA, es IST ein Kampf, das behaupte ich ganz ohne martialische Verblendung).

Ich habe von dem einen - Gott sei Dank - keine Ahnung.

Von dem anderen hingegen schon.

 

Ich maße mir also nicht an zu "wissen", was es heißt, ein Opfer einer Flutkatastrophe sein.

Ich bagatellisiere nicht, weder in die eine oder in die andere Richtung.

Ich weiß auch, dass ich in Sachen Krebs - so wie es aussieht - großes Glück hatte.

Ich wage nicht zu behaupten, dass ich mich auskenne, wie sich jemand fühlt, der unheilbar erkrankt ist und jeden Tag mit dem Bewusstsein lebt, dass das Leben wahrscheinlich oder sicher endlicher ist als bei anderen Menschen.

 

Aber wenn es darum geht, sich mit dem einen Moment konfrontiert zu sehen

 

... wenn die "Flut" kommt ...

 

und die Gefühle von Ohnmacht, Kontrollverlust, (Todes-)Angst und mitunter auch Leere zu erleben,

dann ist es egal, ob wir eine Wetterkatastrophe erleben oder eine Krebsdiagnose.

In diesem besonders vulnerablen Augenblick des größten Schocks sind wir

 

GLEICH.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Sabine (Mittwoch, 21 Juli 2021 08:44)

    Liebe Marlies, wieder sehr eindrucksvoll und fesselnd geschrieben. LG Sabine M.